Barfuß in Beirut

Post aus Nahost (9): Iman Humaidan Junis über das Leben in einer Falle und die Farbe des Krieges

Meine weiße Katze benimmt sich immer befremdlicher. Hysterisch rennt sie durchs Haus, hört nicht auf zu Miauen und ist extrem schreckhaft. Sie ist vier Monate alt, meine Tochter hat sie nur eine Woche vor Beginn des Krieges geschenkt bekommen. Eigentlich ist sie weiß, aber dieser Tage sieht sie meistens grau aus. Selbst frisch gebadet hält sich ihr weißes Fell nicht lange, sondern färbt sich wieder grau ein. Die Farbe kommt vom Staub all der Bomben, die auf Beirut fallen, vermute ich. Ich kann es fühlen, wenn ich barfuß durch meine Wohnung laufe, besonders auf dem Balkon. Meine Füße werden erst grau, dann schwarz.

Immer wenn ich mich in der Nähe des südlichen Beirut aufhalte, dringt dieser Geruch in meine Nase. Die Straße, die zu meiner Heimatstadt führt, bildet gleichzeitig die nördliche Grenze der südlichen Vorstadt. Ich wollte meine Brüder und ihre Familien besuchen, die ich seit dem 12. Juli nicht mehr gesehen habe. Alles schien mir grau, die Luft, die Sonne und selbst das, was von den Häusern, Bäumen und Straßen übrig geblieben ist. Manche Gebäude standen allein, leer, schwarz und traurig. Einige davon sind in gigantische Ruinen verwandelt worden, wie schlafende Dinosaurier. Am Wegesrand parkten verlassene, ausgebrannte Autos.

Gestern hat die israelische Armee auch diese Straße bombardiert. Seitdem kann ich meine Familie überhaupt nicht mehr besuchen, aber wenigstens funktionieren die Telefone noch. Am Montag weckte mich um fünf Uhr morgens der gewaltige Lärm neuer Luftangriffe auf Beirut. Als ich nach meiner Tochter sehen wollte, war sie nicht mehr im Bett – sondern hockte vor dem Fernseher, den wir wegen der Nachrichten manchmal die ganze Nacht laufen lassen.

Wir haben beschlossen, Beirut auch dann nicht zu verlassen, wenn wir die Chance dazu hätten. Meine Tochter arbeitet für eine NGO, die sich um Flüchtlingskinder unter zehn Jahren kümmert. Sie sagt, jedes dieser Kinder sei ein Fall für den Psychologen. Unter den bisher getöteten 1.000 Zivilisten waren 340 Kinder unter zwölf Jahren.

Vor vier Tagen haben israelische Kampfflugzeuge die Straße bombardiert, die zu unserem Ferienhaus in den Bergen führt. Ich bin in Beirut und fühle mich, als säße ich in der Falle. Angst haben wir alle. Aber Beirut würden wir selbst dann nicht verlassen, wenn wir es könnten.

Iman Humaidan Junis schreibt im Wechsel mit Ron Kehrman aus dem Kriegsgebiet Aus dem Englischen von Arno Frank