„Die Kluft wird immer größer“

INNENANSICHT Christian Tschirner war Dramaturg am Schauspiel Hannover und arbeitet seit 2013 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Seine Erfahrungen mit den Widersprüchen des deutschen Theaterbetriebs hat er in dem Text „Die Römische Octavia. Einführung in ein theatrales Desaster“ verarbeitet

■ 44, war Dramaturg am Schauspiel Hannover und arbeitet seit 2013 im Team von Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Unter dem Pseudonym Soeren Voima schreibt er zusammen mit Tom Kühnel und Robert Schuster eigene Stücke und Bearbeitungen.Foto: Katrin Ribbe

INTERVIEW ALEXANDER KOHLMANN

taz: Herr Tschirner, was ist das für eine Story, die Sie in „Die Römische Octavia. Einführung in ein theatrales Desaster“ erzählen?

Christian Tschirner: Das ist der Vorgang, den jeder Dramaturg kennt, man muss eine Einführung halten zu einem Stück, das dem Publikum weitestgehend unbekannt ist. Zum Beispiel Goethes „Faust“. Und das ist immer eine schwierige Aufgabe, weil man selber so fachidiotisch ist und oft gar nicht weiß, wo soll man da eigentlich anfangen zu erzählen. Die „Römische Octavia“ ist ein unglaublich einflussreiches Werk, was aber kein Mensch mehr kennt, extrem verwickelt und haarsträubend aus heutiger Sicht, allegorisch wie jeder Barockroman. Also genau wie Goethes „Faust“.

Ist das nicht sehr selbstreflexiv? Man könnte sich doch auch einfach in eine echte Einführung reinsetzen.

Klar, wenn man eine echte Einführung als Kunstform betrachtete, würde man etwas Ähnliches erleben. Aber das tut leider kaum jemand. Indem ich die Inszenierung weglasse, erkläre ich die Einführung zur Kunst. Und natürlich ist das selbstreflexiv. Ich glaube aber, dass es etwas mehr erzählt als nur etwas über den Theaterbetrieb. Wenn man so ein Publikumsgespräch erlebt, stellt man oft fest, welcher Bruchteil überhaupt ankommt und welche Voraussetzungen fehlen, um das, was da gewollt ist, überhaupt transportieren zu können. Weil der Ausgangspunkt, von dem der Regisseur startet, so weit weg ist von dem des durchschnittlichen Zuschauers. Das hat eine Komik, natürlich, aber auch eine Tragik, weil es eben sehr viel erzählt über die Welt, in der wir leben.

Auf Youtube kann man im Vorfeld der „Octavia“-Premiere in täglich neuen Folgen die Leiden eines fiktiven Dramaturgie-Neulings am Schauspiel Hannover verfolgen. Ist das auch Ihre eigene Geschichte?

Die Videos hab ich noch nicht gesehen, aber mein Text schildert auf jeden Fall die Problematik, die ich als Dramaturg erlebt habe. Allerdings zugespitzt. Das ist ja nicht meine persönliche Leidensgeschichte. Die Themen, die da verhandelt werden, betreffen alle Theater, nicht nur in Hannover. Dieser Umbruch, der da stattfindet in den Theatern und in der Gesellschaft letztendlich auch, den nehme ich genauso wahr, bei allem Spaß, der natürlich auch in dem Text steckt.

Was meinen Sie mit „Umbruch“?

Das klassische Bildungsbürgertum, für das die Stadttheater ursprünglich gebaut wurden, stirbt langsam aus. Die Bildungsbürger gibt es nicht mehr und deshalb wird es immer schwieriger, überhaupt einen Literatur-Kanon zu präsentieren, auf den sich alle einigen können. Stattdessen gibt es immer mehr und immer kleinere Spielstätten. Und sehr spezielle Produktionen, die jeweils nur einen kleinen Teil der Zuschauer ansprechen. Trotzdem kommen immer weniger überhaupt ins Theater. Und jeder fragt sich, wie das überhaupt in Zukunft funktionieren soll.

Ist das auch eine Kluft zwischen Theaterkennern und normalen Zuschauern?

Auf jeden Fall. Man hat auf der einen Seite eine hochspezialisierte Theatergemeinde, die sehr genau weiß, um was es in den einzelnen Stücken geht. Deswegen hat sich ja das deutsche Theater überhaupt erst zu so einer besonderen Kunstform entwickelt, weg vom Geschichtenerzählen im Grunde genommen, das weitgehend dem Film überlassen wird. Auf der anderen Seite steht das übrige Publikum, dem dann oft die Voraussetzungen fehlen, dieses Theater überhaupt zu verstehen. Das führt zu großen Komplikationen. Und ich glaube schon, das hat sich in den letzten Jahren noch zugespitzt.

Aber ist das nicht auch Resultat einer stillschweigenden Verabredung von Dramaturgen, Journalisten und Ausbildungsinstitutionen, die sich darüber einig sind, welches Theater sie sehen wollen?

Es gibt, wie in jeder Kunst, sehr starke Moden. Warum bringen die Theater z. B. immer wahnsinnigere Projekte auf die Bühne? Da steckt natürlich so ein Geltungsdrang dahinter, möglichst im Feuilleton zu erscheinen, da gilt es eben, auffällig zu sein. Der Theatermarkt unterliegt da ähnlichen Mechanismen wie der Kunstmarkt. Gleichzeitig geht das Problem schon weiter als zu sagen, das ist nur so eine Theater-Clique, die sich da eigene Spielregeln gibt. Das Theater hat ja tatsächlich einmal eine wichtige Rolle gespielt in der deutschen Gesellschaft. Heute besuchen überhaupt nur noch zwei Prozent der Bevölkerung regelmäßig ein Stadttheater. Und jeder merkt, dass die Kluft immer größer wird, weil das Geschehen auf den Bühnen keinen Anschluss findet an ein zahlenmäßig bedeutsames Publikum.

Wenn Sie zurückdenken an Ihre Zeit als Dramaturg am Schauspiel Hannover, woran denken Sie dann? Es war ja kein leichter Start.

Wir haben ja in Hannover ganz bewusst einen großen Bruch zu dem Vorgängermodell gemacht. Einfach viel politischer, viel sperriger. Das war uns ja bewusst und in gewisser Weise auch erwartbar, dass da nicht alle Zuschauer mitgehen. Ich habe mich dann aber doch gewundert, wie lange es dauert, bis man da so wieder Anschluss findet. Und es gab Produktionen, die ich ganz toll fand, die beim Publikum überhaupt nicht funktioniert haben. Das war schon manchmal sehr bitter.

Und wie erleben Sie im Vergleich dazu den Anfang von Karin Beier in Hamburg, um den es ja einen regelrechten Medien-Hype gab?

Hier gibt es natürlich eine andere Verwerfung, weil die Zuschauerzahlen von unserem Vorgänger ja gar nicht so schlecht waren, nur die Kritiken waren so unterirdisch, dass es sehr viele Leute gibt, die das jetzt begrüßen, den Neustart und alles. Ob das dann aufgeht, ist eine andere Frage. Weil das Haus riesig ist. Auch hier klafft das auseinander, dass man auf der einen Seite ein Haus hat mit 1.200 Plätzen und auf der anderen Seite das Feuilleton irgendwie auch befriedigen muss. Das ist ein riesiger Spagat, ich weiß nicht, ob der gelingen wird.

„Die Römische Octavia“: Premiere Sa, 16. Februar, 19.30 Uhr, Schauspiel Hannover