Schwarzäugig in Alemania

Sprache ist ihre Liebesquelle: Emine Sevgi Özdamar lebt ihre Geschichte in gefeierten Romanen nach. Morgen feiert die deutsch-türkische Schauspielerin und Autorin in Düsseldorf ihren 60. Geburtstag

Zuerst eine Türkin, dann eine Frau, erst spät eine Künstlerin: Emine Sevgi Özdamar war sich ihrer öffentlichen Wahrnehmung immer bewusst. Sie gilt als unbestrittene Pionierin der deutsch-türkischen Kulturszene. Die Schriftstellerin und Schauspielerin Özdamar ist Vorbild vieler junger türkischstämmiger Autoren in Deutschland. Weil sie in den achtziger Jahren auch als Schauspielerin in Filmen wie Doris Dörries „Happy Birthday, Türke“ und „Yasemin“ auftrat, wurde sie bereits, dem Klischee folgend, von Kritikern als „Mutter aller Filmtürken“ bezeichnet. Morgen wird Özdamar 60 Jahre alt.

Özdamar hat ihre Doppelrolle als türkische Autorin und schreibende Türkin immer wieder thematisiert. Sie begann zu schreiben, als sie ein Brief eines ihr unbekannten Gastarbeiters erreichte. Auf acht eng beschriebenen Seiten schilderte der Mann sein Gastarbeiterschicksal. Özdamar wollte die Geschichten und Erlebnisse ihrer neuen und alten Landsleute aufleben lassen, auf der Bühne und im Roman.

Die Flucht aus ihrem vom Bürgerkrieg geplagten Heimatland Türkei führte Özdamar 1965 zum ersten Mal nach Deutschland. Sie wurde Fabrikarbeiterin, später, nach einem Schauspielstudium in Istanbul, arbeitete sie an der Volksbühne Ost-Berlin, in Paris und Avignon bei dem Brecht-Schüler Benno Besson. Als Ensemblemitglied des Bochumer Schauspielhauses unter Claus Peymann schrieb Özdamar ihr erstes Theaterstück „Karagöz in Alamania“, „Schwarzauge in Deutschland.“ Unter ihrer Regie wurde es 1986 in Frankfurt uraufgeführt. Es erzählt von türkischen Gastarbeitern, die für die Verlassenen in der Türkei als Goldgräber in Deutschland gesehen werden. Für sie gibt es kein Mitleid, auch wenn sie kein Edelmetall finden. „Ihre Liebesquellen trocknen aus“, sagt Özdamar.

Die Liebesquellen. Für Özdamar ist auch die Sprache eine solche Quelle. Nach Gehör und Schlagzeilen in deutschen Zeitungen lernte die Fabrikarbeiterin Deutsch. Türkisch beherrscht sie natürlich auch. „Aber wenn der Alltag fehlt, versprechen die Worte keine Gefühle mehr“, sagt Özdamar. Erkennungsmerkmal von Özdamars Texten sind die teils wörtlichen Übersetzungen von Sprichwörtern und Redewendungen aus dem Türkischen und das Spiel mit dem gebrochenen Deutsch der Gastarbeiter. Für den autobiografisch inspirierten Roman „Das Leben ist wie eine Karawanserei“ über ihre Kindheit und Jugend in der Türkei in den fünfziger und sechziger Jahren erhielt Özdamar 1991 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Der Roman trägt den Titel eines orientalischen Kindheitsmärchens. Der Stoff ihrer Romane stammt aus ihrem eigenen Leben. „Ich suche die Gefühle in meinem Körper“, sagt sie. Auch ihre Nachfolgebände „Die Brücke vom Goldenen Horn“ (1998) und „Seltsame Sterne starren zur Erde“ (2003) reflektieren ihre 68er-Zeit in der Türkei und in Deutschland.

Özdamar schreibt immer über Vergangenes. „So kann ich sortieren, was wichtig ist,“ sagt sie. Für sie sind die Romanfiguren wieder aufgestanden. „Ich bin nach jedem Buch glücklich, weil ich all diese Menschen wiedergefunden habe.“ Sie kann keine Person auslassen, hat Bauchschmerzen, wenn sie Textpassagen kürzen muss, Geschichten wegfallen. Das überlässt sie lieber den LektorInnen.

Heute lebt sie mit ihrer Familie in Düsseldorf und Berlin. Vom Land NRW erhielt sie den Künstlerinnenpreis NRW. „Es ist wichtig, dass Frauen im Kulturbetrieb Rückenwind erhalten,“ sagte die damalige NRW-Frauenministerin Birgit Fischer (SPD). Vor allem türkische Frauen, ergänzte Özdamar. ANNIKA JOERES