Migration macht Schule

Das erste türkische Privatgymnasium startet zum neuen Schuljahr mit bilingualem Unterricht. An staatlichen Schulen kommt die Idee Integration durch Mehrsprachigkeit zu kurz, klagen Lehrer

VON MIRIAM BUNJES
UND NAIMA
EL MOUSSAOUI

Im ostwestfälischen Geseke beginnt heute der Unterricht an der ersten türkischen Schule in NRW. Für 120 SchülerInnen ist die Unterrichtssprache genau wie an anderen Schulen: Deutsch. „Nichts ist auf Türkisch“, betont Turan Devrim, Vorstandsvorsitzender des Fördervereins der Schule. „Wir sind eine ganz normale Ganztagsschule.“ Eine Besonderheit gibt es aber doch: Ab der achten Klasse werden die Naturwissenschaftlichen in Englisch unterrichtet. Das Ziel ist es, ein bilinguales Gymnasium für Deutsch und Englisch zu schaffen. „Integration beginnt in jungen Jahren“, sagt Devrim.

Die Nachfrage an dem privaten Gymnasium Eringerfeld mit Internat ist groß – zumindest bei türkischen Eltern. Das könnte daran liegen, dass die Schule vom türkischen Verein „Regenbogen Bildungswerkstatt“ getragen wird. Andere Nationalitäten halten sich bisher zurück, obwohl die Schule für alle offen ist, wie Devrim betont. „Wenn wir uns erst einmal etabliert haben, werden sich auch Kinder anderer Herkunft vermehrt anmelden.“ Denn obwohl die Schule ein Internat ist, sollen die Einkommensverhältnisse keine Rolle spielen: „Wir erheben kein Schulgeld und die Internatskosten sind gering“, sagt der Vereinsvorsitzende. Gerade SchülerInnen aus sozial schwachen Familien würden gefördert.

Beispiele für Privatschulen, die auf ein bilinguales Unterrichtskonzept setzen, gibt es viele. An der Kölner deutsch-italienischen Ganztagsschule „Italio Svevo“ lernen die 250 Schüler – eine Hälfte ist italienisch und die andere deutsch – parallel auf Deutsch und Italienisch. „Viele italienische Kindern finden sich im deutschen Schulsystem nicht zurecht“, sagt die stellvertretende Schulleiterin Lucia Bodde. „Aber die Herkunft darf kein Handicap sein.“

Tatsächlich ist der Bedarf an bilingualen Schulen beziehungsweise an der muttersprachlichen Förderung enorm: Von den 2,8 Millionen nordrhein-westfälischen SchülerInnen haben 477.000 einen ausländischen Pass oder kamen als Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Macher der PISA-Studie sprechen sogar von 880.000 SchülerInnen, die im weiteren Sinne einen Migrationshintergrund haben – das ist fast jedes dritte Schulkind. „Es ist schon erschreckend, dass es in einem Land mit so vielen Einwanderern wie NRW kaum Schulen gibt, die deren Sprachen fördern“, sagt der Kölner Grundschullehrer Spyrus Kostadimos. „An staatlichen Schulen kommen Kinder mit Migrationshintergrund zu kurz.“ Kostadimos sitzt für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW im Ausschuss multikulturelles Lernen. Außerdem unterrichtet er Griechisch im muttersprachlichen Ergänzungsunterricht: Das ist freiwilliger Zusatzunterricht in der Muttersprache und damit ein Alternativmodell zu bilingualen Schulkonzept.

370.000 SchülerInnen nehmen in NRW am muttersprachlichen Ergänzungsunterricht teil. Der Sprecher im NRW-Schulministerium, Andreij Priboschek, nennt dieses Angebot ein „Erfolgsmodell“. Weiter gehen möchte man diesen Weg jedoch offenbar nicht. „Eine staatliche bilinguale Schule haben wir nicht in Planung“, so Priboschek.

Auch das „Erfolgsmodell“ Zusatzunterricht ist der Landesregierung offenbar nicht allzu viel Wert: Wenn Griechischlehrer Kostadimos nächstes Jahr in Rente geht, fällt an seiner Schule auch die Nachmittagsstunde Griechisch weg. „Die Stelle spart sich das Land.“