Generation Praktikum – nicht mit uns

Es ist schwer als HochschulabsolventIn, einen festen Job zu finden. Aber „Career Center“ und Netzwerke können helfen, der Prekarität zu entkommen

VON ANNEGRET NILL

Da war sie endlich, die Zusage für einen Job: eine halbe Stelle als Sozialarbeiterin und Projektentwicklerin. Bezahlung nach BAT V, befristet bis zum Jahresende. Immerhin. Seit mehr als einem Jahr hat Carola W. ihr Diplom in Erziehungswissenschaften. Ein Jahr, in dem sie sich mit vielen kleinen Jobs und einem Werkvertrag an der Uni über Wasser hielt. Sie bewarb sich ständig und bildete sich weiter. „Phasen der Hoffnung wechselten sich mit Phasen der Angst und Erschöpfung ab“, erzählt die ehemalige Bankangestellte. Nach dem Ende des Werkvertrags und einer Weiterbildung zur Gruppen-Moderatorin fühlte sich W. wirklich „ausgebrannt“. Jetzt hat die 39-Jährige einen sozialversicherungspflichtigen Job – zwar nur für einige Monate, doch es könnte sich mehr daraus entwickeln.

Von Carolas Etappenerfolg können viele Hochschulabsolventen nur träumen. Denn ein Uni-Abschluss ist schon lange keine Jobgarantie mehr. Und wer nicht schon während des Studiums gezielt Kontakte aufgebaut hat, muss sich auf eine lange Such- und Orientierungsphase einstellen. Zwar liegt die offizielle Arbeitslosenquote für Akademiker bei unter vier Prozent. Diese Zahl dürfte aber vor allem durch die niedrige Arbeitslosigkeit unter älteren Akademikern zustande kommen. Zudem fallen viele junge Absolventen aus der Statistik, weil sie Praktika machen oder sich nicht arbeitslos melden.

Superprofile für Popeljobs

Nicht nur Geistes- und Sozialwissenschaftler sind betroffen – auch Architekten, Juristen, Naturwissenschaftler und BWLer haben Schwierigkeiten mit dem Berufseinstieg. In Bewerberprofilen werden mittlerweile selbst für die popligsten Jobs mehrere Jahre Berufserfahrung gefordert.

Eine Möglichkeit für Hochschulabsolventen, sich angesichts der schwierigen Lage für die Arbeitswelt zu wappnen, sind die so genannten Career Center an den Universitäten. Thomas B. hat etwa an dem Career Service der Freien Universität Berlin (FU) teilgenommen. Denn B. – wie Carola W. Diplom-Erziehungswissenschaftler – musste feststellen, dass sein exzellenter Abschluss auf dem Stellenmarkt wenig gilt. Deswegen hat er die Kurse aus dem Programm „Fit für Studium und Praxis“ besucht.

Vitamin B und Netzwerke

Das vom European Social Forum kofinanzierte Weiterbildungsprogramm der FU bietet Studenten und Absolventen ein Kursangebot, das für den Berufseinstieg qualifizieren soll. Im Angebot sind typische Hard Skills wie EDV-Kenntnisse, Schreibseminare und betriebswirtschaftliche Grundlagen. Außerdem Soft Skills, die eine bessere Kenntnis seiner selbst und der eigenen Ziele fördern sollen. Das Stichwort ist: Schlüsselkompetenzen. Doch was ist das?

Christine Marfels, die für das Kursprogramm an der FU zuständig ist, erklärt das so: „Das sind überfachliche Kompetenzen, die befähigen, sich im zukünftigen Erwerbsleben auf verschiedene Aufgaben, Anforderungen und Positionen rasch einzustellen und sie erfolgreich zu bewältigen.“

Die Seminare, die Thomas B. belegt hat, klingen sehr konkret: Projektmanagement, Teamführung, Methodenkompetenz, BWL- und Computer-Kenntnissen. Die Kurse, meint er, haben ihm tatsächlich geholfen, seine Ziele zu definieren: Er will nun als Dozent an einer Hochschule arbeiten. Mittlerweile hat Thomas zahlreiche Erfahrungen mit dem Stellenmarkt gesammelt. Zwar hatte er sich nach seinem Abschluss im April 2005 auf eine ein- bis zweijährige Phase der Arbeitssuche eingestellt. Doch so hatte er sich Vorstellungsgespräche im öffentlichen Dienst nicht vorgestellt: „Ein Arbeitgeber hat meine Kenntnisse solange abgefragt, bis er etwas fand, das ich nicht wusste.“ Nach fünf Minuten stand er wieder draußen. „Ganz klar“, sagt Thomas, „die Stelle war schon vorher intern besetzt.“

Vitamin B, gut ausgebaute Netzwerke und Kenntnisse von internen Stellenausschreibungen werden im Kampf um Akademikerjobs immer wichtiger. Thomas B. sieht das mittlerweile genauso. Deshalb bringt er sich an der Hochschule ein, wo er gerne als Dozent arbeiten würde. „Ich möchte einfach Präsenz zeigen und Kontakte pflegen. So höre ich vielleicht intern von einer vakanten Stelle“, sagt er.

Ein institutionalisiertes Netzwerk dagegen ist beispielsweise das Jobpatenmodell der Diakonie – bundesweite bringt es Personaler und Jobsuchende zusammen. Jeder der mittlerweile 250 Betreuer aus dem Bereich der Human Resources kümmert sich ehrenamtlich um zwei bis drei Bewerber. Am Anfang der Betreuung steht ein ausführliches Gespräch mit einer Zielvereinbarung. Danach werden Bausteine festgelegt, die zu diesem Ziel führen sollen. Außerdem wird mit Hilfe von Tests herausgefunden, wie das Soft-Skill-Profil des Bewerbers aussieht. Kann er oder sie mit Menschen umgehen und auf die Bedürfnisse der Firma eingehen?

„Personaler wollen nicht lesen, was der Bewerber in seinem Studium Tolles gemacht hat. Sie wollen sehen, dass er sich mit ihrer Firma beschäftigt hat“, rät der Leiter des Jobpatenmodells Konrad Müller. Zudem komme es auf die Persönlichkeit an. Bereits die schriftliche Bewerbung solle so authentisch wie möglich gehalten werden, so Müller. „Denn spätestens beim Bewerbungsgespräch sieht ein Personaler, ob die Persönlichkeit des Bewerbers der schriftlichen Bewerbung entspricht – und wer gelogen hat, ist draußen.“ Bei der Bewerbung müsse man stets die Perspektive der Personaler bedenken.

Wie die Jungfrau zum Kind

Carola W. hat ihre ersten Jobs über Kontakte und Hartnäckigkeit bekommen. Einen Honorarjob als Dozentin in der Tagesmütterfortbildung bekam sie 2004 von einer Freundin vermittelt. Den Job im Schulbereich bei einem sozialen Träger in Schöneberg erarbeitete sie sich 2005 durch hartnäckige Kontaktaufnahme selbst. Als sie dort anrief, habe man ihr geantwortet: „Mitarbeiter? Stellen wir im Moment nicht ein. Aber rufen sie nächsten Monat noch mal an.“ Sie hat dann jeden Monat angerufen, und Anfang Mai hatte sie schließlich ein Vorstellungsgespräch. Zwei Wochen später hat sie anfangen. „Ein Zwölf-Stunden-Job, befristet“, sagt sie.

Kontakte und Hartnäckigkeit als Rezept? Letztlich helfen die meisten Ratschläge für den sicheren Weg in den Job nur begrenzt. Patrick B., Philosoph und Kulturwissenschaftler, etwa hat – geht man nach den üblichen Ratgeberbüchern – alles falsch gemacht: Er hat zu lange studiert, keine Praktika während des Studiums absolviert, keine längeren Auslandsaufenthalte.

Er hat auch keine Hilfsangebote wie die Career Center in Anspruch genommen. Dennoch hat Patrick B. den Einstieg in die Arbeitswelt in Rekordzeit geschafft. „Ich bin zum Job gekommen wie die Jungfrau zum Kinde“, sagt der Achtundzwanzigjährige. Verantwortlich dafür: Kontakte, Engagement – und eine Portion Glück.

Kurz vor Abschluss seines Studiums bewarb Patrick sich für ein Praktikum bei einer internationalen PR-Agentur, bei der auch eine gute Freundin arbeitete. Als sein Praktikum zu Ende ging, war er mit seinem Team mitten in einem Projekt. Und genau zu diesem Zeitpunkt verließ eine feste Mitarbeiterin des Teams die Agentur. „Das war Fügung“, meint B.. Denn nun fragte die Agentur ihn, ob er nicht bleiben und weiter am Projekt arbeiten wolle – als freier Mitarbeiter. Und es gab gleich diese Option, demnächst als Trainee fest einsteigen zu können.

Ganz so jungfräulich, wie er es sagt, kam Patrick allerdings nicht zum Job – er hat sich vorher eine Reihe von Schlüsselqualifikationen wie Projektorganisation und freies Reden vor Versammlungen angeeignet: Er war Schülersprecher und vertrat die Philosophiestudierenden jahrelang in verschiedenen Uni-Gremien.

Außerdem arbeitete er drei Jahre lang als studentischer Hilfswissenschaftler für ein von der Deutschen Forschungsgesellschaft finanziertes Projekt. Und wiederum persönliche Kontakte haben ihm geholfen: „Verschiedene Freunde von mir arbeiteten bereits im PR-Bereich. Daher hatte ich eine Vorstellung von der Arbeit und wusste, dass ich die Schlüsselqualifikationen dafür aus meinem Studium und meinen verschiedenen Projekten mitbrachte“, sagt er. In Patrick B.s Fall war ein Praktikum ein Türöffner für den Job. Doch Müller von der Jobpatenschaft warnt davor, „ungeplant“ Praktika zu machen. Das kann mehr schaden als helfen. Marfels von der FU rät AbsolventInnen in der Praktikumsschleife daher, „sich für die Beschäftigung mit den eigenen Wünschen, Zielen und Ressourcen bewusst Zeit zu nehmen und zielorientiertes sowie selbstbewusstes Vorgehen für sich zu entwickeln“.

Programme wie „Fit für Studium und Praxis“ oder das Jobpatenmodell können Betroffenen helfen, mit der Arbeitsmarktsituation umzugehen und individuelle Lösungen zu finden. So ging es auch Carola W. „Ich habe Seminare besucht, in die ich mich selbst einbringen konnte und in denen es Feedback gab. Das hat mir viel Selbstvertrauen gegeben, die Dinge in meinem Sinne anzupacken“, sagt sie.

Genau darauf zielen die Kurse ab. „Die TeilnehmerInnen haben in der Evaluierung durchgehend über einen Zuwachs an Selbstbewusstsein während des Programms berichtet“, sagt Marfels. Sich über die eigenen Ressourcen und den bestehenden Entwicklungsbedarf klar zu sein, sei ein gute Voraussetzung für einen erfolgreichen Berufseinstieg, so die Psychologin.

Den Trend zu ungesicherten Arbeitsverhältnissen können solche Programme natürlich nicht aufhalten. Zum Teil verschärfen sie auch das Problem, bei dem sie helfen wollen. Denn sie treiben die Qualifizierungsspirale nach oben und schaffen weitere innere Netzwerke. Für die Bachelor-Studenten sind berufsvorbereitende Kurse (ABV) bereits Pflicht. Sechs Veranstaltungen in ABV müssen sie im Lauf ihrer dreijährigen Ausbildung besuchen. Beinahe schon ein Nebenfach. Dafür werden noch Dozenten gesucht. Um die 250 entsprechend ausgebildete Dozenten werden in Berlin und Umfeld benötigt. Vielleicht entsteht er da ja gerade – der neue Berufszweig für arbeitslose Geistes- und Sozialwissenschaftler.

www.csnd.de www.patenmodelle.de