Pakistan versinkt in Wasser und Schlamm

Der diesjährige Monsun hat bereits mehr als 200 Todesopfer gefordert. Auch der Norden, wo es im vergangenen Oktober ein schweres Erdbeben gab, ist betroffen. Die extremen Regenfälle offenbaren aber auch das Versagen der Politik

In Karatschi kann die Infrastruktur mit dem Wachstum der Stadt nicht mithalten

AUS KARATSCHI NILS ROSEMANN

Drei Wochen Monsun in Pakistan haben die dokumentierten Todeszahlen auf über 200 Personen steigen lassen. Allein aus der Nordwestgrenzprovinz werden 157 Tote gemeldet. Bei Erdrutschen in der vom Erdbeben des vergangenen Oktobers betroffenen Region im Norden des Landes kamen bis jetzt 45 Menschen ums Leben. Mehrere Tausend verloren erneut ihre Unterkunft sowie Hab und Gut.

Am Wochenende versank in Mardan, westlich der Hauptstadt Islamabad, eine Brücke mit hunderten von Schaulustigen. 44 Tote wurden geborgen. In den steilen und unzugänglichen Tälern des Hindukusch und Himalaja kommt der Tod in Form von Springfluten. Am Sonntag wurden in der Nähe zur afghanischen Grenze zehn Mitglieder zweier Familien von den Wassermassen mitgerissen.

Die großen Flüsse des Landes, allen voran der Indus, bringen Staudämme zum Überlaufen und zerstören tausende Behausungen an ihren Ufern. „Wir schätzen, dass 16.000 Familien in der letzten Woche ihre Häuser verloren haben“, sagt Fazal Rabi Khan, zuständig für die Rettungsmaßnahmen in der Regierung der Nordwestgrenzprovinz. Aus Pakistans bevölkerungsreichster und ländlich geprägter Provinz Punjab werden täglich eingestürzte Lehmhäuser gemeldet. Tausende Dörfer sind überflutet, die Ernte ist vernichtet. Armee und örtliche Behörden haben mit der Evakuierung der an aufgeweichten Deichen liegenden Dörfer begonnen.

Obwohl der Monsun und seine Wassermassen in Pakistan immer sehnsüchtig erwartet werden, ruft sein Beginn doch Erstaunen hervor. Rekorde wie 297 Millimeter Regen an einem Tag im Juli in Muzaffarabad oder etwas mehr als 100 Millimeter an einem Nachmittag Anfang August in Islamabad gehören zur meteorologischen Normalität, auf die keine Stadtverwaltung vorbereitet zu sein scheint. Erstaunlich ist das Chaos dabei nicht in den ländlichen Gebieten, sondern in Pakistans Millionenmetropolen und Aushängeschildern des propagierten Fortschritts.

Vor allem Karatschi, Pakistans wirtschaftliches Zentrum mit über 15 Millionen Einwohnern, versinkt derzeit in Wasser, Schlamm und Kloake. Eine Woche nach dem Beginn des Monsuns stieg die Zahl der Toten in Karatschi auf 24. Unter den Opfern befinden sich vor allem Kinder, die in den Wassermassen spielten und wegen fehlender Kanaldeckel und Baustellenabsperrungen in der Kanalisation ertranken. Häufigste Todesursache sind aber Stromschläge, die entstehen, wenn das marode Elektrizitätsnetz das Wasser unter Strom setzt.

Karatschis Problem liegt nicht nur im unkontrollierten Wachstum, mit dem die Infrastruktur nicht mithalten kann, sondern auch an der fehlenden politischen Verantwortung. Bürgermeister Said Mustafa Kamal forderte vergangene Woche, der Stadtverwaltung als einzige und zivile Institution Zuständigkeiten und Mittel zu übertragen. „Wie können die städtischen Angelegenheiten entsprechend und effizient gestaltet werden, wenn diese zwischen 13 verschiedenen Institutionen aufgeteilt sind? Selbst wenn die Stadtverwaltung hundert Prozent der Probleme löst, betrifft das nur 40 Prozent der Stadt“, so Kamal. Großprojekte wie Autobahnen und Brücken werden von den Institutionen wie der Hafenverwaltung oder dem Militär gebaut, die keinerlei Rechenschaftspflicht haben.

Ein Ende der Katastrophe ist nicht in Sicht. Das Telefonnetz in der Nordwestgrenzprovinz ist seit zwei Tagen ausgefallen und das Elektrizitätsnetz in weiten Landesteilen zusammengebrochen. Der Indus hat seine Höchststände der letzten Jahre seit einer Woche überschritten. In den Tarbela-Stausee, der die Wassermassen aus dem Himalaja aufnimmt, strömen jede Sekunde etwa 13.000 Kubikmeter Wasser hinein und 10.000 Kubikmeter hinaus. Die Staumauer hat in wenigen Tagen ihre Kapazitätsgrenze von 472 Meter erreicht. Die pakistanische Armee ist in Alarmbereitschaft. Das Land bereitet sich auf eine Flutwelle ab dem 11. August vor, die ganze Regionen unter Wasser setzten wird, bis dieses in Karatschi in das Arabische Meer abfließt.