Lager bombardiert

AUS SAIDA MARKUS BICKEL

Die israelische Luftwaffe hat am Dienstagmorgen das größte Palästinenserlager im Libanon, Ain al-Helweh, bombardiert. In der erhöht auf einem Hügel östlich der südlibanesischen Hafenstadt Saida gelegenen Siedlung leben rund 70.000 Menschen. Die meisten von ihnen sind Nachfahren der 1948 aus Israel in den Libanon geflohenen Palästinenser. Ärzte gaben die Zahl der Opfer des Angriffs am Mittwochmorgen mit zwei an, mindestens fünfzehn Menschen, darunter fünf Kinder, seien verletzt worden. Die beiden in Ain al-Helweh eingeschlagenen Raketen galten offenbar dem Wohnhaus von Oberst Munir Makdah, dem Militärchef der palästinensischen Fatah-Bewegung im Libanon. Ein Bewohner von Ain al-Helweh erklärte, auch eine Schule sei bei dem Angriff getroffen worden.

Ain al-Helweh ist das größte der zwölf libanesischen Palästinenserlager, die sich über die Jahrzehnte zu oft autarken Kleinstädten entwickelt haben. Beschossen wurde bisher nur das Lager Raschidije südlich der im Hauptkriegsgebiet gelegenen Hafenstadt Tyrus.

Mehr als 400.000 Palästinenser leben im Libanon, rund die Hälfte davon untergebracht in ärmlichen Lagern wie Ain al-Helweh. Da sticht die Stadt Saida ein wenig heraus. In der stark sunnitisch geprägten Stadt ist vielen Palästinensern der bescheidene Aufstieg gelungen. Gleichwohl werden sie weiter oft gesellschaftlich geächtet. Schließlich geben viele Libanesen der Palästinensischen Befreiungsorganisation Arafats (PLO), dessen Milizen in den 1970er-Jahren Israel vom Südlibanon aus immer wieder angriffen, bis heute die Schuld für die israelischen Einmärsche während des libanesischen Bürgerkrieges 1978 und 1982.

Im Libanon herrscht die Angst, hunderttausende mehrheitlich sunnitische Palästinenser könnten durch volle staatsbürgerliche Anerkennung das fragile konfessionelle Gleichgewicht des kleinen Mittelmeeranrainers mit nur vier Millionen Einwohnern stören – die Folge der Angst ist eine anhaltende Diskriminierung der Palästinenser. Wie viele andere arabische Staaten hat die libanesischen Regierung ihre palästinensischen Mitbürger nie besonders bevorzugt behandelt. Die Forderung nach einem Rückkehrrecht nach Palästina geriet so zur leeren Formel – und zur Ausrede für die fortgesetzte Ausgrenzung der Palästinenser.

Fünf Dutzend Berufe dürfen Palästinenser im Libanon nicht ausüben. Der Lebensstandard, vor allem in den Lagern, liegt beträchtlich unter dem der libanesischen Mehrheitsgesellschaft. Auch bei der Arbeitslosenquote sind sie führend. In Ain al-Helweh wie auch in den anderen Lagern haben die staatlichen Sicherheitskräfte keinen Zutritt, Ausländer, die die Kleinstadt betreten wollen, müssen sich vorher den Besuch genehmigen lassen: im Büro des Militärgeheimdienstes, hundert Meter vor der Einfahrt gelegen.

So auch gestern: Stunden nach dem Angriff auf Ain al-Helweh weigerte sich der zuständige Beamte, das notwendige Papier auszustellen. Unterdessen brodelt es in der Siedlung: Bereits Anfang des Jahres war die Armee in Alarmbereitschaft versetzt worden, weil es vor dem Lager zu Schusswechseln zwischen rivalisierenden politischen Gruppen gekommen war. Wie in anderen Palästinenserorten auch gibt es innerpalästinensische Spannungen zwischen Fatah- und Hamas-Kadern.