In Bombenstimmung

Nach der Festnahme von 21 Terrorverdächtigen gilt in Großbritannien erhöhte Alarmstufe – vor allem auf Flughäfen

VON RALF SOTSCHECK

Die britischen Sicherheitskräfte haben nach eigenen Angaben ein Terrorkomplott von großem Ausmaß vereitelt. In der Nacht zu gestern wurden 25 Menschen bei Razzien in London, Birmingham und im Themse-Tal westlich von London verhaftet. Vier wurden am Morgen wieder freigelassen. Bei mehreren Verdächtigen soll Sprengstoff gefunden worden sein. Die Polizei machte keine Angaben über die Nationalität der Festgenommenen, es soll sich laut Guardian um britische Muslime pakistanischer Abstammung handeln.

Donnerstag früh um 2 Uhr rief der Geheimdienst MI5 in Großbritannien zum ersten Mal die höchste Alarmstufe „kritisch“ aus. Sie bedeutet, dass ein Anschlag unmittelbar bevorsteht. Erst Anfang des Monats war die Alarmstufe auf „ernst“ heraufgesetzt, was bedeutet, dass ein Anschlag „sehr wahrscheinlich“ sei. Innenminister John Reid sagte: „Wir erleben jetzt die schwerste Bedrohung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.“

Die mutmaßlichen Terroristen sollen geplant haben, neun oder zehn Flugzeuge auf dem Weg in die USA gleichzeitig in die Luft zu sprengen. Scotland Yard geht davon aus, dass die Attentäter den Sprengstoff, möglicherweise in flüssiger Form, im Handgepäck an Bord schmuggeln wollten, die Bomben sollten dann in der Luft zusammengesetzt werden. Ziel seien vor allem die US-Fluggesellschaften United Airlines, American Airlines und Continental Airlines gewesen. Falls die Attentäter erfolgreich gewesen wären, hätte das zu einem „Massenmord unvorstellbaren Ausmaßes“ geführt, sagte der Londons stellvertretender Polizeichef, Paul Stephenson.

Bis zu 50 Menschen sollen an den Attentatsplänen beteiligt gewesen sein. Die Polizei glaubt nicht, dass die Anschläge bereits für gestern geplant waren, jedoch für die unmittelbare Zukunft. Reid sagte, die „wichtigsten Drahtzieher des Komplotts“ seien verhaftet worden. Da man sich aber nicht sicher sein könne, ob die Terroristen einen Plan B haben, sei höchste Alarmbereitschaft geboten. „Mit dieser umfassenden Anti-Terror-Operation haben die Sicherheitskräfte eine große Gefahr für das Vereinigte Königreich gebannt“, sagte Reid. „Wir tun alles, um weitere terroristische Aktivitäten zu unterbinden.“

Die Ermittlungen gegen die Terrorverdächtigen haben bereits vor Monaten begonnen, hieß es in einer Presseerklärung von Scotland Yard: „Wir versichern der Bevölkerung, dass die öffentliche Sicherheit bei unserer Operation absoluten Vorrang hatte.“ Premierminister Tony Blair, zurzeit auf Barbados im Urlaub, wird von Reid auf dem Laufenden gehalten und hat seinerseits US-Präsident George Bush laut US-Angaben schon vor Tagen über die Anschlagspläne informiert. Blair lobte die Zusammenarbeit mit den US-Behörden bei den Ermittlungen. Ob er seinen Urlaub abbricht, hat er noch nicht entschieden.

London-Heathrow, der größte Flughafen Europas, war gestern für alle ankommenden Flüge gesperrt. British Airways strich sämtliche Europa- und Inlandsflüge von und nach Heathrow. Lufthansa, KLM, Air France und andere Unternehmen zogen nach. In Heathrow, aber auch auf anderen britischen Flughäfen kam es zu Verspätungen von bis zu fünf Stunden. Viele Flüge fielen aus, weil das Sicherheitspersonal nicht mit den Taschenkontrollen und Leibesvisitationen nachkam. In Heathrow und Manchester reichten die Warteschlangen durch die gesamte Abflughalle bis zu den Eingangstüren.

Handgepäck ist seit gestern auf sämtlichen britischen Flughäfen verboten. Lediglich Reiseunterlagen, Brillen und Medikamente dürfen an Bord mitgenommen werden. Da bei den Anschlägen Bomben aus flüssigem Sprengstoff benutzt werden sollten, untersagten die Sicherheitskräfte auch die Mitnahme von Getränken und Cremes an Bord. Milch für Babys muss von der Begleitperson vorgekostet werden. Die meisten Fluggäste gingen gelassen mit den Einschränkungen und Verspätungen um.

In den USA wurde zum ersten Mal die höchste Terrorwarnstufe „rot“ für alle Flüge von Großbritannien in die USA ausgerufen. Für alle anderen Flüge galt die zweithöchste Warnstufe „orange“. In Deutschland erhöhte das Innenministerium die Vorkehrungen für die Luftsicherheit nochmals. Sie seien bereits seit längerem auf hohem Niveau, hieß es. Einzelheiten gab das Ministerium aber nicht bekannt.