Erfolg mit dem Feind

Der amerikanische Doyen der Unternehmensforschung, Henry A. Turner, hat ein spannendes Buch darüber geschrieben, wie General Motors seine Tochterfirma Opel für die Nazis arbeiten ließ

VON ANITA KUGLER

Es war schon eine bemerkenswerte Gleichzeitigkeit. Ausgerechnet als Bundeskanzler Konrad Adenauer 1951 mit Israel über Entschädigungszahlungen verhandelte, erhob die General Motors Corporation (GM) Anspruch auf die Dividenden, die ihre Tochtergesellschaft Opel im „Dritten Reich“ erwirtschaftet hatte.

Das waren trotz der NS-Gewinnbeschränkungen 22,4 Millionen Reichsmark, die freilich nach der Währungsreform nicht mehr sehr viel wert gewesen sind. Dennoch – diese Summe einzufordern sei „schändlich“ gewesen, das Geld sei auch mit dem Leid der Zwangsarbeiter erzielt worden, der Konzern habe sich damit „schuldig gemacht“, lautet das Urteil des emeritierten Professors der Yale University, Henry Ashby Turner, der in einem neuen Buch die Beziehungen von General Motors und Opel zu den Nationalsozialisten genau unter die Lupe genommen hat.

Auch die Vorgeschichte dieses Buches hat mit der Zwangsarbeit zu tun. Zwar hatten deutsche Autoren schon vor Jahren belegt, dass ohne französische und italienische Kriegsgefangene oder ohne die zwangsverschleppten Menschen aus dem Osten (ab 1944) kein Flugzeugteil die Fabrik in Rüsselsheim und kein Lastwagen das Werk in Brandenburg hätte verlassen können. Doch dies hatte General Motors lange nicht interessiert. Hellwach wurde der Multi erst, als um 1999 ehemalige Zwangsarbeiter Sammelklagen gegen amerikanische Unternehmen anstrengten, die während des Dritten Reiches Eigentümer von Unternehmen in Deutschland gewesen waren.

Erst daraufhin entschied sich GM mit einer bemerkenswerten Initiative für die Flucht nach vorne. Das Unternehmen beauftragte den Doyen der modernen Unternehmensgeschichte, Henry A. Turner, und sein Team von acht Doktoranden, weltweit nach Dokumenten über den Konzern und speziell über Opels Kontakte zu den Nazis zu suchen. Tabus sollte es nicht mehr geben, auch bis dahin gesperrte Konzernunterlagen sollten in eine Datenbank eingespeist und der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Zudem versprach GM, 30 Millionen Mark in den Stiftungsfonds der deutschen Wirtschaft „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ einzuzahlen.

Der erste Benutzer dieser General Motors/Opel Collection war Turner selbst. Sein neues Buch ist jedoch kein Teil des GM-Auftrags, sondern eine vom Konzern völlig unabhängig erstellte Forschungsarbeit, was in der „Business History“ keineswegs selbstverständlich ist. Ein wenig erstaunlich ist es deshalb, dass Turner sich jeden Seitenblick auf andere amerikanische Unternehmen in Deutschland verbietet. Gerade im Vergleich mit Ford, das anders als Opel, jüdische Sklavenarbeiter beschäftigte, werden die Handlungsspielräume von GM/Opel deutlich.

Dennoch ist Turners Buch sehr gelungen. Souverän beschreibt er, mit welch hohen Erwartungen GM 1929 Opel kaufte, wie stark die Tochter- die Muttergesellschaft in der Wirtschaftskrise finanziell belastete und wie dann unter Hitlers automobilfreundlicher Politik aus dem „hässlichen Entlein“ eine „Gans“ wurde, „die goldene Eier legte“. Weil wegen der Devisenbewirtschaftung Gewinne nicht nach Amerika transferiert werden konnten, setzte man stets auf die Zukunft – immer bereit zu neuen Kompromissen mit den Nazis.

Laut Turner war der „Prozess der Anpassung“ an das Regime bis 1936 „weit fortgeschritten“. Amerikanische Manager traten ins zweite Glied, für wichtige NSDAP-Funktionäre erfand man einflussreiche Posten, jüdischen Mitarbeitern wurde gekündigt, und den von der SS geführten Werkschutz ließ man Mitarbeiter terrorisieren. Als Opel-Beschäftigte in Gestapo-Kellern verschwanden, schwieg die Unternehmensleitung.

Auch Opels Aufstieg zu einem Militärlieferanten verlief reibungslos. Nachdem Hitler sich zugunsten von Porsche gegen Opels Volkswagenprojekt entschieden hatte, diente der Chef der GM Oversees Operations, James Mooney, die für den den Pkw geplante Fabrik in Brandenburg dem Wehrwirtschaftsministerium für Lkws an. Mit Erfolg. Jeder dritte „Opel Blitz“-Lastwagen ging von dort ab 1936 an die Wehrmacht.

Am interessantesten liest sich Turners Kapitel über die Eingliederung des Rüsselsheimer Hauptwerks in die Flugzeugteileproduktion ab 1939. Es basiert ausnahmslos auf bislang unter Verschluss gehaltenen amerikanischen Konzernunterlagen. Während die Führungsspitze in den USA Beschlüsse fasste, sich „keinesfalls“ auf eine reine Rüstungsproduktion bei Opel einzulassen, entschieden sich untergeordnete GM-Gremien in Deutschland für den Bau einer Getriebefabrik, in der mit amerikanischer Technologie hochleistungsfähige Komponenten für die JU 88 produziert wurden. Das war für Turner der erste große Sündenfall.

Ab 1941 baute Opel auch Torpedozünder und Granaten in Rüsselsheim, aber da hatten die Amerikaner schon jeden Einfluss auf den Gang des Unternehmens verloren. Nach Abwägung aller Argumente kommt Turner zu dem Ergebnis, dass die Opel/GM-Kriegsgeschichte „eine Geschichte ohne Helden …, [aber auch] ohne Schurken“ gewesen sei.

Erst ein knappes Jahr nach Hitlers Kriegserklärung an die USA, im November 1942, wurde Opel unter die Feindvermögensverwaltung gestellt. Laut Turner soll man davon in den USA nichts gewusst haben, was allerdings kaum zu glauben ist. GM jedenfalls schrieb Opel als totalen Kriegsverlust ab, was dem Unternehmen 1942 eine Verminderung der Steuerlast von knapp 35 Millionen Dollar brachte.

Im Herbst 1944 legten alliierte Bomber das Brandenburger Werk still. In Rüsselheim gelang das nicht. Die Bomben trafen Fremd- und Zwangsarbeiter; ihnen hatte man verboten, in die Luftschutzkeller zu fliehen. 115 Menschen verbrannten in ihren Baracken auf dem Werksgelände, 260 Menschen wurden verletzt. In einer Fußnote ist bei Turner zu lesen, dass General Motors 1967 die Kriegsschäden berechnete und auf 16 Millionen Dollar kam. Nur einem von seinem Gewissen geplagten amerikanischen Exmanager von Opel ist es zu verdanken, dass die verbrannten Baracken aus dieser Summe herausgerechnet wurden.

Henry Ashby Turner: „General Motors und die Nazis. Das Ringen um Opel“. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber, Econ Verlag, Berlin 2006, 304 Seiten, 18 Euro