Wie dem Sohne, so der Mutter

„Möglichst viel für ihn erhalten“: Weil sie nicht das Erbe ihres minderjährigen Sohnes verfrühstücken will, kämpft eine ALG-II-Empfängerin aus Bremen gegen die amtliche Vermutung, dass Familien immer füreinander einstehen

von JAN ZIER

Eigentlich, sagt Carmen Schneider (Name geändert), „bin ich ja eher friedliebend“. Aber hartnäckig. Kämpferisch. Ein wenig sturköpfig. „Vielleicht bin ich nicht wirklich ein Schäfchen.“ Schneider grinst. Es geht ihr ums Prinzip. Um den Datenschutz. „Um die Integrität meines Kindes“. Um die „Abschaffung der Sippenhaft“.

Carmen Schneider hat einen Sohn, 16 Jahre alt. Und der hat vom Vater geerbt. Keine Millionen, aber doch eine beträchtliche Summe. Und genau dieses Geld wird seiner Mutter jetzt zum Verhängnis. Seit Januar versucht sie schon, ergänzende Sozialhilfe beim Amt zu beantragen. Vergebens – denn der Sohn, sagt die Bremer Agentur für Integration und Soziales (Bagis), hat ja Geld. Geld, das auch für seine Mutter reichen muss.

„Es ist eine pure Selbstverständlichkeit, dass sich die Familie untereinander hilft“, argumentiert die Bagis. Und verweist auf Paragraf 9, Absatz 5 des Sozialgesetzbuches II. Leben Hilfebedürftige mit Verwandten in einem Haushalt, steht da, dann wird „vermutet“, dass sie auch Geld von ihnen erhalten.

Diese Gesetzesnorm kennt natürlich auch Carmen Schneider – und zitiert aus dem „Handbuch des Feindes“, wie die 44-Jährige es nennt. Gibt es doch zu fraglichem Paragrafen aus dem Sozialgesetzbuch eine eigene Dienstanweisung für die SachbearbeiterInnen der Bagis. „Einkommen und Vermögen der minderjährigen unverheirateten Kinder“, zitiert Schneider, „sind nicht auf den Bedarf der Eltern anzurechnen.“

Doch dieser Satz steht nicht im Gesetz. Dafür aber jener, in Paragraf 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches: „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“

Daran hatte auch das Oberverwaltungsgericht Bremen nichts auszusetzen. Ganz im Gegenteil: Von einer „sittlichen Pflicht“ ist die Rede, „entsprechend dem Gedanken der Familiennotgemeinschaft“.

Das erinnert nur allzu sehr an den jüngsten – heftig umstrittenen – Vorstoß des CDU-Generalsekretärs Ronald Pofalla. „Die Familie ist eine Verantwortungsgemeinschaft“, erklärte er vor kurzem. Und weiter: „Ich hätte gerne die alten Regeln des Sozialhilferechts wieder, weil es da eine Einstandspflicht der Familie ohne Altersbegrenzung gab.“

Doch Carmen Schneider will nicht tagtäglich das Erbe ihres Sohnes aufessen. Nicht das Geld verfrühstücken, von dem er in ein paar Jahren seine Ausbildung bezahlen, seine Studiengebühren bestreiten muss. „Es geht mir darum, möglichst viel für ihn zu erhalten.“ Und überhaupt: Mutter und Sohn Schneider leben zwar in einer Wohnung. Aber sie sind nicht das, was das Amt eine „Bedarfsgemeinschaft“ nennt. „Deshalb haben ihre Augen nichts auf den Konten meines Sohnes zu suchen.“ Darauf beharrt die 44-Jährige. Das ist das, was sie unter zivilem Ungehorsam versteht.

Der 16-Jährige sorgt für sich alleine, finanziell wenigstens – dank des Erbes, dank weiterer fast 400 Euro, auf die sich Waisenrente und Kindergeld monatlich summieren. Seine Mutter hingegen gehört zu jenen, „für die auf dem regulären Arbeitsmarkt wohl kein Platz mehr ist.“ Nicht, dass sie keinen ordentlichen Beruf hätte. Ganz im Gegenteil. Ein Handwerk hat sie erlernt, damals und auch heute noch ein echte Männerdomäne. Später hat sie umgeschult, zuerst aufs Kaufmännische, dann auf den EDV-Bereich.

Vor einem Jahr hat sie sich selbstständig gemacht. Doch dann kam das Rheuma, dazu ein Fahrrad-Unfall. Carmen Schneider lag immer wieder im Bett, ihr Internet-Geschäft lief schlecht. Der Existenzgründerzuschuss wurde gestrichen. Und jede weitere amtliche Hilfe auch.

„Von da an war ich gezwungen, meinen Sohn von seinem eigenen Geld durchzubringen.“ Das Ersparte ist schon lange alle, Rechnungen laufen auf, dazu eine Mieterhöhung. „Die Hütte brennt an allen Stellen. Mir steht das Wasser bis zum Hals.“ An allen Ecken und Enden fehlt das Geld, auch der Putzjob hilft da nicht weiter. „Ich bin ernsthaft in der Klemme.“ Also lebt sie doch vom Erbe des Sohnes, nimmt aber nach eigenen Angaben nicht einmal so viel, wie das Amt es erlaubt. Sogar eine eidesstattliche Erklärung hat sie abgegeben. Eine Versicherung, dass sie vom Geld ihres Sohnes nichts für sich abzweigt. Und dass ihr das auch gar nicht zustünde. Das, sagt Schäfer, „ist doch Unterschlagung“.

Also kämpft sie weiter. Wenn nötig, will sie bis in die letzte Gerichtsinstanz gehen. Als Mutter. Als Vermögensverwalterin. Für die staatliche Unterstützung. Gegen Menschen wie Ronald Pofalla. „Ich will das Bestmögliche für meinen Sohn herausholen“, versichert sie. „Und ich bin da gerade unglaublich stur.“