WIR LASSEN LESEN
: Spiel mit Identitäten

BILDBAND Die Spieler. Die deutsche Fußballnational-mannschaft – Team 2010, fotografiert von Ellen von Unwerth. Essay Oliver Kahn. Zeitgeist Media, Düsseldorf 2010, 200 Seiten, 1.379 Gramm, 39,90 Euro

Demnächst werde ein ehemaliger Nationalspieler „die Schwulencombo“ hochgehen lassen, kolportierte ein Spiegel-Redakteur die peinliche Aussage von Michael Becker, dem Manager Michael Ballacks, im Klubhaus von Bayer Leverkusen vor der Weltmeisterschaft in Südafrika. Mit besagter „Combo“ war das wundersame deutsche Fußball-Team gemeint, das inzwischen zum heißen Liebesobjekt der gesamten Nation geworden ist und die bisherige nationale Integrationsbeauftragte Lena fast zum Mauerblümchen degradiert hat. Das Buch zur Combo ist inzwischen in Schwarzweiß erschienen, dickleibig und schwer, fotografiert von der Großmeisterin der erotischen (!) Modefotografie Ellen von Unwerth, gesponsert von Strenesse, der Ausstatterfirma, der wir Löws historischen blauen Pullover verdanken, und mit einem Essay von Oliver Kahn versehen, der tief blicken lässt: „Nationalspieler gehen immer bis ans Äußerste“!

Das ist hier in der Tat der Fall, denn der Blick fällt schnell auf viel nackte, behaarte und unbehaarte Männerhaut, auf tätowierte und untätowierte, muskulöse Arme, auf Hände, die die Pokerkarten streicheln oder – madonna mia – ineinander verschränkt sind wie die von Patrick Helmes, Marcell Jansen und Bastian Schweinsteiger. Frau von Unwerth inszeniert die Jungs ansonsten als harte Kerle, mit kalten Augen im Ambiente von Gangster-B-Movies. So sitzt Andreas Köpke mit einem Blick, der Gänsehaut macht, am Steuer eines Gangsta-Schlittens der dreißiger Jahre, während Christian Gentner, Hansi Flick, Marcel Schäfer, Piotr Trochowski und Tim Wiese mit ihm im Wagen eine Sexerkette bilden, der man nicht mal im Hellen gerne begegnen würde.

„Helmut“ Cacau aus Brasilien ermittelt zusammen mit dem in Russland geborenen Andreas Beck, offensichtlich ziemlich undercover in einem surrealen, industriellen Ambiente mit dem Charme der Bronx. Es sind zwei gefährliche Männer, die hier ermitteln. Capitano Lahm im Kapuzenpulli ist der Einzige, dem man einfach den Bösewicht nicht glaubt, während Arne Friedrich mit Dreitagebart im Fliesenambiente durchaus was Mabusehaftes eignet. Richtig krass wird es, wenn Dennis Aogo, Sami Khedira, Toni Kroos und Manuel Neuer durch die Betten toben und bei einer Kissenschlacht zu bestaunen sind, bei der sich harte Männer ja bekanntlich häufig vom schweren Gangsta- und Macho-Alltag erholen. Im Finale bei mafiaüblicher Geburtstagstorte und Spaghetti alla Putanesca (Nudeln nach Nuttenart) mit Rotwein tritt dann endlich Pate Jogi im Pullover auf und Mesut Özil mit Schiebermütze bringt den mediterranen Touch in die Runde, der diese Inszenierung aus metrosexuellem Machismo und Mafia-Gangsta-Stereotypen erst richtig zu einer großen visuellen Freude macht.

Bei diesem wunderbaren Spiel mit den Identitäten wäre Manager Becker wohl endgültig überfordert, deshalb reibt man sich erstaunt die Augen, wenn in einer ganz großartigen Szene sein Partner Michael Ballack und Lukas Podolski die Blues-Brothers mimen. Bekanntlich sind beide auf dem Spielfeld ja häufig weniger kumpelhaft (Affäre Ohrfeige) miteinander umgegangen. Vielleicht erfahren wir ja bald, wer der „ehemalige Nationalspieler“ ist, der aus dem Nähkästchen plaudert. „Nur eine Frau kann aus diesen Männern herauskitzeln, was sie in sich verstecken“, schreibt Strenesse-CEO Gerd Strehle im Nachwort. Da sind wir aber wirklich gespannt, ob noch mehr kommt. Schließlich findet die Frauen-Weltmeisterschaft schon im nächsten Jahr in Deutschland statt. Das erste Ergebnis kann sich jedenfalls sehen lassen, und das DFB-Logo auf der Rückseite macht richtig nachdenklich. DIETHELM BLECKING