Steuereinnahmen „sensationell“ gestiegen

Steuerschätzer: Der Fiskus hat im Juli so viel Geld eingenommen wie lange nicht mehr. Optimismus ist aber verfrüht

BERLIN taz ■ Die Zeichen mehren sich, dass es der deutschen Binnenkonjunktur besser geht. Neues Indiz: unerwartet hohe Steuereinnahmen. Im Juli sind sie um 11,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen, meldete gestern das Handelsblatt. Das Finanzministerium bestätigte die Angaben als „in der Tendenz“ richtig.

Offiziell werden die Zahlen erst Ende des Monats vorgestellt. Die Steuerschätzer sprechen aber schon jetzt von einem „sensationell guten Ergebnis“. Die Finanzämter sollen in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 18 Milliarden Euro mehr eingenommen haben als im Jahr zuvor. Damit wären schon jetzt die Erwartungen für 2006 übertroffen: Die Experten hatten für das gesamte Jahr nur mit 13 Milliarden Euro Steuern gerechnet. „Hält diese Entwicklung an, könnte Deutschland schon dieses Jahr die erlaubten 3 Prozent Neuverschuldung des EU-Stabilitätspakts einhalten“, sagt Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischem Institut für Wirtschaftsforschung (RWI).

„Die Entwicklung ist der guten Konjunktur geschuldet“, erklärt Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. „Wir haben jetzt das typische Bild, das sich bei einem Aufschwung zeigt.“ Außerdem seien die Unternehmensgewinne seit dem vergangenen Jahr um 30 Prozent gestiegen. Das schlägt sich in höheren Steuereinnahmen nieder. Allerdings ergibt sich aus den guten Steuerzahlen nicht zwingend eine wirtschaftliche Erholung.

„Aussagen über die künftige konjunkturelle Entwicklung kann man daraus beim besten Willen nicht ableiten“, sagt Ullrich Heilemann vom Institut für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität Leipzig. Der Steuerzuwachs hängt auch mit Änderungen des Steuerrechts zusammen.

Beispiel Unternehmensteuern: Seit 2003 gibt es eine Mindestbesteuerung, Firmen können ihre Gewinne nicht mehr komplett mit Verlusten verrechnen. Da es Fristen gab, werde diese Regelung erst jetzt wirksam, erklärt Lorenz Jarass. Der Steuerprofessor an der FH Wiesbaden sagt: „Viele große Kapitalgesellschaften zahlen jetzt erstmals Steuern.“ Hinzu kommt, dass die wirtschaftlichen Aussichten in der Vergangenheit sehr schlecht waren. „Deshalb haben viele Unternehmen nur niedrige Steuervorauszahlungen geleistet“, sagt Ullrich Heilemann. Diese würden nun nachgezahlt.

Einige Unternehmensgewinne können jedoch auch zu Lasten der Konjunktur gehen. Die Energiebranche verdient derzeit zum Beispiel besonders prächtig, weil die Preise für Strom und Gas gestiegen sind. Allein der Rest der Volkswirtschaft leidet: Die Inflationsrate lag im Juli bei 1,9 Prozent. Ohne den Kostenzuschlag für die Energieversorgung, so hat das Statistische Bundesamt jetzt berechnet, läge sie nur bei 1,1 Prozent. TARIK AHMIA

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