Das Machtschattengewächs

Internen Widerstand brach der passionierte Judo-Kämpfer mit Härte und Beistand von Strauß

AUS ALTÖTTING MICHAEL STILLER

Bei der 60-Jahr-Feier der CSU-Landtagsfraktion Mitte Juli in München stand unauffällig ein etwa 70-jähriger Mann unter den Festgästen. Es gab Zeiten, da hatte er Veranstaltungen seiner Partei gemieden, obwohl er sich nicht zu verstecken brauchte. Gerold Tandler, der am Samstag 70 Jahre alt wird, hat über zwei Jahrzehnte die Partei mit geprägt, er war einmal der Lieblingsjünger der Partei-Ikone Franz Josef Strauß. Kaum war Strauß 1988 gestorben, wurde Tandler von der CSU verstoßen. Den Strauß-Nachfolgern als Ministerpräsident, Max Streibl und Edmund Stoiber, galt Tandler als Rivale, später, als Mitverursacher der Zwick-Steueraffäre, nur noch als Ballast. Seine Karriere und sein Sturz sind ein pralles Stück CSU-Geschichte.

Strauß hatte ein „Wurzelgeflecht“ von ihm ergebenen Anhängern herangezogen, aber konkrete Vorsorge für seine Nachfolge hatte er nicht getroffen. Hätte er das getan und wäre er 1988 nicht so plötzlich gestorben, wäre wahrscheinlich Tandler sein Erbe gewesen, nicht Streibl, nicht Stoiber. Zu den Machtschattengewächsen von Strauß zu zählen, war in der CSU nur zu dessen Lebzeiten nützlich. Theo Waigel, der neue CSU-Chef, und Max Streibl, der Ministerpräsident, rückten trotz aller Lobsprüche für den Verblichenen vom FJS-Kampfstil ab. Der von München aus ständig attackierte Bundeskanzler Helmut Kohl sollte nun Ruhe haben, das Regime in Bayern sollte milder werden. Da waren Hardliner wie Gerold Tandler oder auch Peter Gauweiler, die am Strauß-Kurs festhalten wollten, nicht mehr gefragt.

Heute sagt Tandler, der in Altötting (Oberbayern) das Hotel „Zur Post“ betreibt: „Ministerpräsident, das hätte mich nie besonders interessiert. Das wäre mir zu viel Repräsentation gewesen. Parteivorsitzender wäre ich gern geworden.“ Doch die neue Achse Waigel/Streibl plante ohne ihn, auch ohne Edmund Stoiber. Beide mussten mit der zweiten Reihe vorliebnehmen, Tandler wurde in ein Amt gelobt, in dem er nur verlieren konnte. Er wurde Finanzminister.

Was Tandler in der CSU widerfuhr, zeigt ihre frühere, unter Stoiber abhandengekommene Fähigkeit, auf die jeweiligen politischen Strömungen mit dem für sie richtigen Personal zu reagieren – und die Kaltschnäuzigkeit, es gnadenlos fallen zu lassen, wenn andere Interessen ihren jeweiligen Befehlshabern das nahelegen. Dass einer wie Tandler 1971 als nahezu Unbekannter CSU-Generalsekretär werden konnte, war eine typische Strauß-Entscheidung. Der im Sudetenland geborene Bankkaufmann Tandler war erst wenige Monate im Landtag, da hatte ihn Strauß schon berufen. Widerspruch gegen Strauß war nicht ratsam.

Tandler war genau das, was FJS damals brauchte. Von der 1969 gebildeten sozialliberalen Koalition in die Opposition gedrängt, war ein Heißsporn gefragt – obwohl dieses Wort auf den meist mürrisch und nahezu emotionslos wirkenden „General“ nicht recht passte. Sein Gesellenstück für die CSU vollbrachte er gleich am Anfang im Stillen. Er reorganisierte die ziemlich verlotterte Parteiorganisation in kürzester Zeit. Internen Widerstand brach der passionierte Judo-Kämpfer, der den „Braunen Gürtel“, die zweithöchste Qualifikation schaffte, mit großer Härte und dem Beistand von Strauß.

„Ich habe erst einmal die gesamte Geschäftsstelle an einem Nachmittag umbesetzt. Wir hatten damals nicht einmal eine Mitgliederkartei, die diesen Namen verdiente. Das Parteileben spielte sich aus Angst vor Störungen der APO in Hinterzimmern ab“, erinnert sich Tandler. Er führte die CSU zurück auf die Plätze der Großstädte und verpasste der CSU ein neues Outfit. Das satte Blau, das grelle Grün, mit dem sie heute noch auftritt, war Tandlers Erfindung: „Die CSU sollte von Hof bis Lindau sofort erkennbar sein mit einheitlichem Auftreten und identischen Plakatvorgaben.“ Später nannte man das „Corporate Identity“. Mit Fug und Recht kann man behaupten, Tandler war der Ur-Generalsekretär, wahrscheinlich nicht nur der CSU.

Ohne den „Boss“, wie Tandler und seine Leute Strauß nannten, wäre die Verjüngungskur nicht möglich gewesen. Streibl, sein Vorgänger als Generalsekretär, und dessen Anhang waren dagegen und wollten das Konzept in einem Wahlkampf-Ausschuss zerreden, wahrscheinlich auch wegen ihrer früheren Untätigkeit. Tandler erinnert sich, wie er Strauß einschaltete und der sofort grünes Licht gab. „Da ham s’ g’schaut“, sagt Tandler lächelnd.

Öffentliche Auftritte lagen Tandler weniger. Seiner Polemik fehlten im Vergleich zu Strauß Eleganz und Wortschatz, im Fernsehen wirkte er düster, und die Reden, die man ihm schrieb, waren oft ziemlich grobschlächtig. Die Attacken gegen das Feindbild Nummer eins, Willy Brandt, waren vor allem nach dem legendären Scheitern eines Unions-Misstrauensvotums bisweilen geschmacklos. „Freiheit oder Sozialismus“ war die CSU-Parole dieser Zeit gegen die sozial-liberale Ostpolitik, und Tandler blies zur Verteidigung Bayerns gegen den Weltkommunismus die Backen manchmal so kräftig auf, dass er in den Zeitungen schon mal gerne „Luftverpester“ genannt wurde.

1976, bei den Wirren um den nie vollzogenen Abspaltungsbeschluss der CSU von Wildbad Kreuth, war Tandler noch an der Seite von Strauß, dann übergab er den wohlorganisierten Parteiapparat an Edmund Stoiber. Dass dieser zusammen mit Fritz Zimmermann Strauß 1979 in die aussichtslose Kanzlerkandidatur von 1980 hetzte, verübelt ihm Tandler heute noch.

Zwischen 1978 und 1988 bekleidete er weitere wichtige Ämter. Dem Innenminister Tandler war die damals gegründete taz ein Gräuel. Es bedurfte vieler Interventionen der bayerischen Landtagspresse, bis die Berliner KollegInnen ordentliche Arbeitsbedingungen und Zugang zu CSU-Terminen hatten. Chef der Landtagsfraktion und Wirtschaftsminister waren weitere Posten. Und für viele war er in dieser Zeit auch Ministerpräsident in spe. Das nächste und letzte Amt machte ihn dann zum Verlierer. Er wechselte 1988, vom neuen Ministerpräsidenten Streibl gedrängt, auf dessen bisherigen Posten im Finanzministerium. Und dort tickte, von Streibl eingestellt, schon die Bombe, die Tandlers Karriere ruinieren sollte.

Warum der Wechsel ins Finanzministerium nicht gut für ihn war, lag an einem unbeabsichtigten, aber folgenschweren Fehler, den Tandler schon 1976 begangen hatte. Um sich von der Politik unabhängig zu machen, hatte er in Altötting den Gasthof „Zur Post“ gekauft. Der Umbau in ein schmuckes Hotel wurde zum Millionengrab. Zum Schluss saß er auf 17 Millionen Mark Verbindlichkeiten, und es nutze ihm nichts, dass er von „intelligenten Schulden“ sprach. Bayerns größter Steuerschuldner, der Bad Füssinger „Bäderkönig“ Eduard Zwick, half mit Darlehen in Millionenhöhe aus. Das war der zweite große Fehler.

„Ministerpräsident, das hätte mich nie besonders interessiert. Das ist mir zu viel Repräsentation“

Zwick hatte 70 Millionen Mark Schulden beim Fiskus angehäuft, weil er der Auffassung war, mit Spenden an die CSU der Steuerpflicht hinreichend nachgekommen zu sein. Schon während Streibls Amtszeit wurde im Finanzministerium ein Deal mit ihm vorbereitet. Zwick sollte 8,3 Millionen Mark zahlen. Dafür sollten er und seine Erben ein für alle Mal seiner Steuerschulden ledig sein. Tandler „übernahm“, angeblich ahnungslos, als Schuldner Zwicks die skandalöse Steuererlass-Idee, eine Konstellation, die selbst im affärenerprobten Bayern Seltenheitswert hatte. „Der Streibl hat das doch gewusst, der hätte mir das doch sagen können“, beteuert Tandler heute. Ohnehin wäre er damals viel lieber Wirtschaftsminister geblieben.

Von Streibl wurde damals berichtet, er habe geäußert, Tandler solle die Sache mit Zwick selber ausbaden, schließlich sei das sein Freund. Unterschrieben hat das Skandal-Dokument erst 1990 Tandlers Nachfolger Georg von Waldenfels; 1993, als die Affäre publik wurde, widerrief er es mit großem Getöse. Ein mit dem Vorgang befasster Beamter schilderte, noch immer konsterniert, die Kehrtwendung vor Gericht: „Da war im Ministerium plötzlich Marschmusik gefragt.“

Zu diesem Zeitpunkt war Tandler längst im Zwick-Sumpf untergegangen, politisch abgehalftert und auf einen Vorstandsposten beim Anlagenbauer Linde gewechselt. Natürlich wurde er mit dem Steuererlass für Zwick identifiziert, mochte er auch noch so oft seine Unschuld beteuern. Inzwischen ist er Privatier und hilft im Altöttinger Hotel mit. Manchmal holt er in der Münchner Großmarkthalle mit seinem Transporter das Gemüse für die Hotelküche.

Über die aktuelle Politik redet er wenig. Auf den heutigen Generalsekretär Markus Söder braucht man ihn gar nicht erst anzusprechen. Im Vergleich zu Tandler fristet die fränkische Plaudertasche in der CSU geradezu ein Aschenputtel-Dasein. Dazu kommt, dass Stoiber alles Wesentliche auf verfassungsrechtlich bedenkliche Weise in die Staatskanzlei verlagert hat.

Gerold Tandler rätselt höchstens, warum sich Stoiber vor und nach der Bundestagswahl 2005 so merkwürdig angestellt hat. „Der hätte sich auf das Finanzressort konzentrieren sollen“, sagt er, und dass ihn Stoiber inzwischen „wieder über den Schellenkönig lobt“. Er macht nicht den Eindruck, dass er sich besonders geschmeichelt fühlt. Zum Geburtstag werden ihm Mitglieder des Kapellchors Altötting, in dem er selbst singt, ein Ständchen bringen. Von der CSU sei nichts vorgesehen. Die politischen „Freunde“ von einst scheint er nicht zu vermissen.