: Die Crowd aus der Klangkurve
SÄNGERINNEN GESUCHT Auf dem Sommerfest der Philharmonie im Juni soll das Stück „Crowd out“ des Komponisten David Lang seine deutsche Uraufführung erleben. Tausend singende Menschen werden dafür gebraucht. Am Wochenende wurde schon mal geübt
Allein muss hier niemand sein. Das Foyer des Radialsystems ist gepackt voll mit Menschen – sicher weit über hundertfünfzig. Sie sind gekommen, um im Chor energisch zu rufen: „I am always alone.“ Und dann elegisch zu singen: „I feel like rushing into tears.“
Der amerikanische Komponist und Pulitzer-Preisträger David Lang, der diese Texte vertont hat, ist ein begnadeter musikalischer Melancholiker. Und er denkt mitunter in Maßstäben, die über das Übliche hinausgehen. Lang hat, inspiriert unter anderem von einem Stadionbesuch bei Arsenal London und den dort gehörten Gesängen, ein Stück für tausend Stimmen geschrieben. „Crowd out“ handelt also keineswegs nur vom Alleinsein, sondern auch davon, wie aus vielen Einzelnen durch Musik eine Gemeinschaft wird.
In der ersten Juniwoche wird das Stück seine Welt-Uraufführung in Birmingham erleben, gleich in der Woche danach folgt die deutsche Uraufführung in Berlin im Rahmen eines zweitägigen Open-Air-Events der Berliner Philharmoniker am 14. und 15. Juni auf dem Kulturforum.
Die tausend Stimmen allerdings müssen erst noch gefunden werden. Doch immerhin ein paar davon sind schon da, am vergangenen Sonntag bei der Kennenlernprobe mit Simon Halsey, der ansonsten Leiter des Rundfunkchors ist. Er ist künstlerisch für „Crowd out“ verantwortlich und stellt das Projekt hier erstmals einer größeren Öffentlichkeit vor. In einem Video, das die Bildungsabteilung der Berliner Philharmoniker ins Netz gestellt hat, erklärt David Lang, dass seine Musik normalerweise eher kompliziert sei. Dieses Mal aber habe er sich bemüht, so einfach zu komponieren, dass auch Menschen mitwirken könnten, die keine große musikalische Erfahrung hätten.
Während der Kennenlernprobe im Radialsystem wird allerdings deutlich, dass diejenigen, die Noten lesen können, es noch einfacher haben als die anderen. Außerdem ist jetzt schon zu erkennen, dass Langs postulierte „Einfachheit“ sich keineswegs auf die Komposition als Ganzes bezieht. Der Beitrag der einzelnen SängerInnen mag überschaubar sein, doch insgesamt ist „Crowd out“ als hochkomplexes Geflecht von Stimmen und Stimmgruppen angelegt.
Das muss aber nicht die Sorge jener tausend sein, die dem Projekt ihr Stimmorgan zur Verfügung stellen. Es werden die vielen, vielen Dirigenten sein, die ernsthaft ins Schwitzen geraten könnten. „Es gibt zwanzig Dirigenten für die einzelnen Gruppen, und mein Job ist es, in der Mitte zu stehen“, erläutert Simon Halsey mit fröhlichem Minimalismus sein Konzept. Der in der Mitte steht, muss Kontakt zu den zwanzig anderen halten, die ihrerseits jeweils eine Gruppe von fünfzig SängerInnen managen.
You’ll never walk alone
Im Übrigen sei, erzählt Halsey weiter, das Kulturforum ja sehr groß, die Gruppen seien in Bewegung und zeitweise vielleicht mehrere hundert Meter voneinander entfernt. Die Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic wird für die szenische Umsetzung des Ganzen sorgen. An zwei Stellen werden die Zuschauer Gelegenheit zum Mitsingen haben. Und wenn das Ganze vorbei ist, muss die singende Crowd selbst wieder Publikum spielen, denn dann geben Simon Rattle, die Philharmoniker, der Rundfunkchor und die glücklichen Berliner Kinder, die vom diesjährigen Education-Programm profitieren, Carl Orffs „Carmina Burana“. Alles draußen auf dem Kulturforum. Man kann wirklich nur hoffen, dass es im Juni nicht ständig regnet.
Die Suche nach Mitwirkenden für „Crowd out“ hat gerade erst begonnen. Alle BerlinerInnen sind aufgerufen, sich zu bewerben, sei es als Einzelperson oder als kompletter Kirchenchor. Auch Fußball-Fanclubs sind hoch erwünscht. Gerade in diesem Umfeld gibt es schließlich viele Menschen, die gern zeigen, dass ihnen öffentliches Singen nicht peinlich ist.
KATHARINA GRANZIN
■ Weitere Infos unter: www.crowd-out.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen