Ein dunkles Geheimnis

INDISCHE ANTI-WALTONS Karan Mahajans unterhaltsame Politsatire „Das Universum der Familie Ahuja“

Mahajan ist in Indien aufgewachsen, lebt heute aber in New York

VON SHIRIN SOJITRAWALLA

Dem jungen indischen Schriftsteller Karan Mahajan ist nix heilig: Kühe auf Delhis Straßen sind ein „beschissenes Verkehrshindernis“, und als Hausgott taugt nur noch das Fernsehgerät. In seinem Debütroman, „Das Universum der Familie Ahuja“, macht er uns mit einem fünfzehnköpfigen Clan in Neu-Delhi bekannt. Vater, Mutter und dreizehn Kinder.

Die meisten von ihnen bekommen wir gar nicht erst zu Gesicht, im Mittelpunkt stehen der mit 16 Jahren älteste Sohn der Familie, Arjun, und der Vater, seines Zeichens Minister für Stadtentwicklung. Deren Leben schneidet der Roman übereinander. Mal begleitet er den Schüler Arjun, der gerade dabei ist, seine erste Rockband zu gründen und seine erste Liebe zu finden, mal den abgebrühten Minister Rakesh Ahuja, der die ganze Stadt mit Flyovers, in indischen Großstädten gängigen Straßenüberführungen, überzieht.

Wie in jeder anständigen Familie gibt es auch bei den Ahujas ein dunkles Geheimnis, das der Roman zu Beginn lüftet. Anders als seine zwölf Geschwistern heißt Arjuns Mutter nämlich nicht Sagita, sondern Rashmi. Und sie starb nicht lange nach seiner Geburt, wovon keines der Kinder etwas ahnt. Mit dieser Entdeckung nimmt der Roman Fahrt auf, indem er zwei Lebenswelten abwechselnd beleuchtet, wobei die politischen Machenschaften des Vaters bald die Oberhand gewinnen. Zusammengenommen fügen sich die Passagen zu einer launigen Politsatire auf die größte Demokratie der Welt.

Das Mantra seiner ganzen politischen Karriere fasst Rakesh Ahuja so zusammen: „Die mir schmeicheln, egal, was passiert – die behalte ich.“ So schlawinert er sich durch den politischen Alltag, tritt zurück, wenn es opportun erscheint, und macht seine Entscheidung rückgängig, wenn die Lage es zulässt. Währendessen plagt sich sein Sohn mit den Nöten der Pubertät.

In einer klassischen Coming-of-Age-Story begleitet der Autor ihn bei seinen nächtlichen Abenteuern und Gefühlsachterbahnfahrten. Das ist flott geschrieben, schrammt aber zuweilen nur zart an pubertätsseliger Jugendromantik vorbei. Viel besser gelingen alle Episoden, die unmittelbar mit der vielköpfigen Familie zu tun haben. Wenn Mahajan das System der Respektbezeugung indischer Familien mit dem der Mafia gleichsetzt, ist das wohl mehr als eine witzige Pointe.

Gut ist der Roman immer dann, wenn sein Ton ein bisschen ruppiger und respektloser wird und der Autor seinen ganz eigenen Witz spielen lässt. Da vergleicht dann Mrs. Ahuja ihren frisch geborenen Sohn enttäuscht mit einem verlebten Filmstar, der auf eine kurze Zigarettenpause aus der Gebärmutter herausgehüpft ist. Oder Mr. Ahuja droht allen seinen dreizehn Kindern auf einmal, sie ins Heim zu stecken.

Mahajan selbst ist zwar in Indien aufgewachsen, lebt heute aber in New York. Auch Mr. Ahuja lässt er in die USA auswandern und die Ambivalenz der Emigration erleben. Mit den Ahujas erschafft er indische Anti-Waltons – eine Familie wie ein vielköpfiges Ungeheuer. Ihre Geschichte ist zwar einfach ausgedacht, aber mit viel Charme erzählt. Auch wenn dem Autor hier und da das Gespür für die Ökonomie des Erzählens fehlt, jongliert er gekonnt mit Klischees. Delhi erscheint wahlweise als der langweiligste Ort der Welt oder als der politisch abgefeimteste. So bleibt nach der Lektüre dieses unterhaltsamen Romans nur ein echtes Ärgernis: dass ein Glossar fehlt.

Karan Mahajan: „Das Universum der Familie Ahuja“. Deutsch von R. Barth. C. Bertelsmann Verlag, München 2010, 285 Seiten, 19,90 Euro