Streit ums Denkmal

Die großen Leuchttürme in der Kritik. Der Deutsche Werkbund NRW will eine Debatte über Industriekultur

Theorie und Praxis waren friedlich vereint: Im Neubau der „Zollverein School of Management and Design“ trafen sich vergangene Woche die Beobachter des viel beschworenen Strukturwandels, um an historischer Stätte über die „Zukunft der Industriekultur“ zu diskutieren. Der Deutsche Werkbund NRW, vor 99 Jahren gegründet, um Kunst und Industrie zusammen zu bringen, lud zu besagtem Symposium ein. Mehr als 20 Referenten kamen, um sich in Warhol‘scher Reduktion dem Thema anzunähern. Der Direktor des Ruhrlandmuseums,Ulrich Borsdorf, versuchte das Industriezeitalter in die Geschichte einzuordnen, Ex-NRW-Bauminister Christoph Zöpel (SPD) erzählte Anekdoten aus dem Kampf um den Erhalt alter Industriedenkmäler. 15 Minuten hatten sie für ihre Vorträge Zeit. Erwünscht waren: „Zuspitzungen, Herausforderungen, Visionen. Immer in Andeutungen.“

„Industriekultur ist allgegenwärtig“, sagt Roland Günter, Vorsitzender des Werkbundes. Der Eisenheimbewohner muss es wissen. Jeden Morgen erwacht er in der ehemaligen, dem Stahlboom geschuldeten Oberhausener Industriesiedlung – der ersten, die Dank des Widerstandes engagierter Bürger, Städteplaner, Politiker vor dem Abriss bewahrt werden konnte. Und er ist sich dessen bewusst: „Über die tägliche Anschauung entwickele ich das Bewusstsein für die Industriekultur.“ Eine Sache, die dem Großteil seiner Mitmenschen abgehe. Es fehle an „Reflexion“ und an „Wissen“. Dabei stehe die Industriekultur als Begriff mittlerweile doch für eine Epoche „wie der Absolutismus“.

Die Beteiligten des Symposiums sparten nicht mit allgemeiner Kritik. Von der Politik erwarten die Wissenschaftler nicht allzu viel: „Die Landesregierung hat mit Industriekultur nichts am Hut“, sagt Roland Günter. Bauminister Oliver Wittke (CDU) sei nur an den Erlösen aus der Privatisierung öffentlicher Flächen interessiert, egal welche Bedeutung sie hätten. Auch die Börsenpläne des Essener RAG-Konzerns wurden äußerst negativ beurteilt. Die ehemalige Ruhrkohle AG will mit den Sparten Energie, Chemie und Wohnimmobilien auf dem Aktienmarkt aktiv werden. Der Bergbau und die Gewerbeimmobilien sollen dagegen in eine Stiftung überführt werden. „Die RAG will ihre Denkmäler zerstören“, sagt Günter. Alles was nicht unter Schutz steht soll weg. „Das Alleinstellungsmerkmal des Ruhrgebiets steht auf der Kippe.“

Doch auch die großen Leuchttürme stehen in der Kritik. Diplom-Ökonom Stefan Alexander Vogelskamp bemängelte die „fehlende Substanz“ in der Nutzung der alten Industriedenkmäler. Die Eventkultur hinterlasse keinen nachhaltigen Eindruck, koste dafür allerdings sehr viel. Der ursprüngliche Zweck war wohl ein anderer. Und genau das sei das große Dilemma, glaubt Roland Günter. Die Menschen wüssten nichts über ihr Zeitalter, welches sich auch in der Industriekultur ausdrücke, würden aber täglich damit konfrontiert. „Wir müssen die Sinne schärfen und da stehen wir erst am Anfang.“ HOLGER PAULER