„Musik hat keine Botschaft“

Zum ersten Mal tritt der iranische Dirigent Nader Mashayekhi mit seinem neuem Orchester in Deutschland auf: mit Werken persischer Komponisten, Beethovens und Frank Zappas beim Morgenland Festival in Osnabrück. Die taz sprach mit Mashayekhi, der sich derzeit in Teheran vorbereitet

Interview: Thorsten Stegemann

taz: Sie sind seit wenigen Monaten in Teheran. Welche Bedingungen haben Sie vorgefunden?

Nader Mashayekhi: Hier gab es ein Orchester, das sehr lange Zeit überhaupt keinen Chefdirigenten hatte. Insofern war es eigentlich gar kein Orchester, sondern ein ziemlich chaotischer Haufen von Musikern, die grundsätzlich immer zu spät kamen.

Der Schah von Persien hat sich mit westlicher Kultur geschmückt, für die islamische Revolution war sie sündhaftes Teufelswerk. Welchen Stellenwert hat die klassische Musik heute im Iran?

Wenn Sie die Leute hier fragen, ob sie ein Orchester kennen, dann wollen die meisten wissen, wer dazu singt. Es gibt überhaupt keine Erfahrung mit dieser Art des Musizierens, sie ist ganz einfach unbekannt, und da spielt es kaum eine Rolle, was politisch gewollt oder weniger gern gesehen ist.

Was bewegt dann junge Menschen dazu, Orchestermusiker zu werden?

Die Liebe zur Musik, der Enthusiasmus und die Hoffnung, dass sich an dieser Situation noch etwas ändern wird. Wir kommen nur in kleinen Schritten voran, darum versuche ich zunächst einmal, den Dialog untereinander zu verbessern. Gerade waren zum Beispiel ein paar Bratscher bei mir, die ja immer besonders empfindlich sind und sich leicht aufregen. Sie wollten mir nur mitteilen, dass sie die erste Diskussionsrunde mit einem konstruktiven Ergebnis hinter sich gebracht haben. Es ist viel wert, wenn die Menschen miteinander sprechen, sich näher kennen lernen und bestimmte Verhaltensregeln einhalten. Momentan bin ich wirklich froh, wenn ich alle Musiker um 9.30 Uhr zum Probenbeginn beisammen habe.

Können die Orchestermitglieder von Ihrer Arbeit leben?

Nein, nicht im entferntesten, und das ist ein wirkliches Problem. Wenn wir realistisch sind, speist sich die Motivation, einen Beruf auszuüben, doch zu 75 Prozent aus dem Wunsch, damit auch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das geht hier nicht, die Musiker müssen sehr viel unterrichten oder andere Einnahmequellen suchen. Aber vielleicht können wir auch das auf Dauer verbessern.

Im Orchester spielen viele Frauen. Aus westlicher Perspektive überrascht nicht nur die Anzahl, sondern schon die Tatsache an sich. Haben Frauen hier einen Freiraum erobert, den ihnen die iranische Gesellschaft ansonsten verwehrt?

Ob das ein wirklicher Freiraum ist … wir haben etwa 30 Frauen im Orchester. Das sind ganz hervorragende Musikerinnen mit einer überdurchschnittlichen Begabung. Aber sie leben hier in einer Art autonomer Kulturstätte, die zahlreiche Widersprüche in sich vereinigt und viele Dinge möglich macht. Teheran ist nicht der Iran, und als Künstlerinnen sind sie überdies in einer besonderen Lage. Ich habe schon zu einigen Frauen gesagt: Ihr lauft hier zwar die Straßen rauf und runter wie alle anderen Menschen, aber ihr lebt in einer ganz anderen Dimension.

Können Sie Ihre Konzertprogramme frei bestimmen oder gibt es Vorgaben von Seiten des „Ministeriums für Kultur und Islamische Führung“ oder sonstiger staatlicher Stellen?

Das werden wir sehen, bis jetzt habe ich da noch keine negativen Erfahrungen gemacht. Grundsätzlich muss man sich jedes Programm erkämpfen, aber das war in Europa nicht anders. Ich habe auch in Wien bei Konzerten mit zeitgenössischer Musik um jedes Stück und jeden Komponisten gerungen, nur hier sind die Argumente, mit denen man sich auseinander setzen muss, selbstverständlich ganz andere.

Es gibt also keine Schwierigkeiten, wenn Sie Werke amerikanischer Komponisten aufführen wollen?

Ach nein, das ist doch nur Musik. Wenn es Vorbehalte gibt, richten sie sich allenfalls gegen die amerikanische oder israelische Regierung, aber nicht gegen DIE Amerikaner oder DIE Juden. Das ist zumindest mein Eindruck von der großen Mehrheit der iranischen Bevölkerung.

Die politischen Differenzen zwischen dem Iran und der westlichen Welt bestimmen die Schlagzeilen, auch anderorts kommt der Nahe Osten nicht zur Ruhe. Wie stehen Sie persönlich zu diesen Ereignissen?

Ich bin Angestellter eines staatlichen Organs. Gleichzeitig bin ich aber auch Künstler und kann als solcher nicht die Tür schließen und so tun, als ginge mich das alles nichts an. Ich versuche mit meiner Arbeit, positive Akzente zu setzen, aber die Gefahr, für Propagandazwecke eingespannt zu werden, besteht natürlich immer. Ich entziehe mich dem, soweit es irgendwie geht, weil ich die Instrumentalisierung von Musik grundsätzlich ablehne. Musik hat kein Programm und keine Botschaft.

Die iranische Regierung soll trotzdem eine „Nuklearsymphonie“ in Auftrag gegeben haben.

Ja, stimmt, das hat sie tatsächlich getan, und die Partitur ist auch abgeschlossen. Es wird allerdings wohl kaum zu einer Aufführung kommen, ich würde so etwas jedenfalls ganz sicher nicht machen.

Kann die Musik in dieser Situation einen Dialog eröffnen, den die Politik vielleicht schon abgebrochen hat?

Das hoffe ich sehr. Hier in Teheran haben jedenfalls auch viele Menschen in verantwortlicher Position begriffen, dass der Besuch eine gute Chance ist, sich im Ausland darzustellen. Dem wird sehr große Bedeutung beigemessen. Was unser Auftritt letztlich bewirkt, kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich glaube, das ist auch gar nicht wichtig. Entscheidend ist nur, dass er überhaupt stattfindet. Alles andere müssen wir später beurteilen. Leider haben die Menschen ja die Angewohnheit, ein Problem zu lösen und dafür hundert neue zu schaffen.

Was bedeutet der Deutschlandbesuch für die Musikerinnen und Musiker Ihres Orchesters?

Er ist ganz wichtig für die geistige Motivation, denn es geht eben nicht nur um finanzielle Fragen. Die Musiker wünschen sich die Anerkennung, die ihnen in Persien im Moment noch versagt wird. Sie wollen sich in Europa zeigen und mit anderen Musikern vergleichen. Trotzdem ist es ganz wichtig, dass wir uns nicht an irgendwelchen Standards orientieren, die in Wahrheit sowieso nicht existieren. Ich selbst will auch kein zweiter Karajan werden.

Wir haben unsere eigene Mentalität und Geschichte, unsere Erfahrungen und Traditionen, die wir in unsere Arbeit einbringen sollten. Deshalb müssen wir uns nicht mit europäischen Musikern messen – aber wir sollten uns auf jeden Fall kennen lernen.