Abschied von Beirut

Auf die Straßen der libanesischen Hauptstadt kehrt Leben zurück. Doch die Unsicherheit bleibt

AUS BEIRUT MARKUS BICKEL

Der Stau von Autos will kein Ende nehmen. Vom „Starbucks“-Café am östlichen Ende der Westbeiruter Haupteinkaufsstraße Hamra bis zur Kreuzung mit der Sadat Street, an der das beliebte Fast-Food-Restaurant „Quick Bite“ und ein Internetcafé liegen, reicht die Schlange von alten 200er-Mercedes-Taxis, blank geputzten asiatischen Modellen und den verstaubten Kleinwagen der vielen nach Beirut geflüchteten Südlibanesen. Lautes Hupen macht die Verständigung zwischen den vielen Passanten, die sich zum ersten Mal seit Wochen wieder unbeschwert den Auslagen der vielen Mode- und Schmuckgeschäften widmen, schwierig.

Nach dreiunddreißig Kriegstagen ist an diesem Montagmorgen das Leben nach Beirut zurückgekehrt. Viele Falafel- und Schawarmashops, die fast fünf Wochen lang geschlossen hatten, haben schon in den ersten Stunden der Feuerpause zwischen Israel und Libanon, die um acht Uhr Beiruter Zeit in Kraft trat, wieder geöffnet. „Hoffen wir, dass der Waffenstillstand hält“, sagt Jojo, der in einem Fotoladen in einer Parallelstraße der Hamra arbeitet. Das Geschäft sei in den vergangenen Wochen fast komplett eingebrochen, erzählt er. Und wegen der ständigen Stromausfälle hätten auch die wenigen einkommenden Aufträge nur mit Verspätung bearbeitet werden können.

Beirut in den ersten Stunden nach dem Waffenstillstand: Etwas Unbeschwertes liegt in der Luft, ein Gefühl, das verflogen war nach über einem Monat Krieg. Zwar dröhnen die Generatoren immer noch, die viele Wohnungen in den Tagen mit mehr als zwölf Stunden Stromausfall mit Elektrizität versorgten. Auch die lange Schlange von Autos, die seit fast zwei Wochen jeden Morgen und jeden Nachmittag vor der „Rolls Royce Station“ am westlichen Ende der Hamra steht, um zu tanken, ist heute wieder da. Auf rund sechs Liter pro Wagen ist der Benzinverkauf weiter rationiert, die Taxipreise haben sich deswegen teilweise mehr als verdoppelt.

„Am Ende der Woche kostet es wieder den normalen Preis“, sagt ein Taxifahrer, der sich nicht davon abhalten lässt, statt der üblichen anderthalb umgerechnet vier Euro für eine Strecke von fünf Minuten zu verlangen. Vor dem Hotel Bristol stehen acht Wagen des Roten Kreuzes, die Windschutzscheibe des vordersten Fahrzeugs ganz verhangen von einer jordanischen Fahne. „Wir fahren jetzt nach Hause“, sagt ein junger Mann in weißem Sanitätsanzug und lacht. „Irgendwann müssen wir auch mal schlafen gehen.“

Doch dass die schlaflosen Nächte wirklich vorbei sein sollen, glauben viele Einwohner Beiruts an diesem ersten Vormittag ohne die aus der nur vier Kilometer südlich von Hamra gelegenen Vorstadt Dahiye hinüberhallenden Bombeneinschläge immer noch nicht. Noch kurz nach Sonnenaufgang, um sieben Uhr in der Früh, waren die schweren Detonationen des vorerst letzten israelischen Luftangriffs auf die Gegend zu hören, wo bis vor einem Monat das Hauptquartier der Hisbollah („Partei Gottes“) residierte. Auch am Sonntagabend schlugen die Flieger nochmal heftig zu. Wie schon am Nachmittag waren in einer Minute fast zwanzig Detonationen zu hören.

Doch tausende vor allem aus den südlibanesischen Gebieten um die Städte Tyrus, Bint Dschbeil und Nabatija nach Saida oder Beirut Geflohene lassen an diesem Montag keine Anzeichen von Skepsis erkennen. Unzählige Autos brachen schon kurz nach acht Uhr in den Süden auf. David Orr, Sprecher des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP), berichtete per Telefon von „totalem Chaos“ entlang der Küstenstraße südlich von Saida Richtung Tyrus. Zum ersten Mal seit über einer Woche habe die Organisation nicht mehr auf eine ausdrückliche Genehmigung der israelischen Militärs warten müssen, um in die Hafenstadt aufzubrechen.

Muna und Habiba hält es dennoch weiter in Beirut. Die ersten sechzehn Kriegstage hatten die beiden tapferen Frauen Ende vierzig in ihrer Frühstückspension „Orange House“ zehn Kilometer südlich von Tyrus ausgeharrt. Tag für Tag jedoch rückten die Einschläge der israelischen Raketen dem Gebäude näher, dass idyllisch, nur fünfzig Meter vom Mittelmeer entfernt liegt. Vor gut zwei Wochen ergriffen die beiden doch die Flucht.

Dem großen Rückkehrerstrom anschließen wollen sie sich heute aber noch nicht. „Wir gehen es gemächlich an“, sagt Habiba, die das alte Haus ihrer Familie nach dem Abzug der israelischen Besatzungstruppen im Mai 2000 gemeinsam mit Muna mühevoll in Schuss gebracht hat. Ob das Hostel überhaupt noch steht, weiß sie nicht. Und ob der Waffenstillstand hält, auch nicht. „Ich traue den Israelis alles zu“, sagt sie.