„Revolutionen sollten binnen einer Woche siegen“

UKRAINE Die deutsche Berichterstattung über die Unruhen leidet unter allgemeiner Übersättigung

■ 33, Kommunikationswissenschaftler an der LMU München, forscht im EU-Projekt Infocore zu Medien in Konflikten.

taz: Herr Baden, ARD und ZDF wurden scharf dafür kritisiert, dass sie am Dienstagabend statt Sondersendungen zu den blutigen Unruhen in Kiew Karneval und einen seichten Spielfilm sendeten. Ist der Vorwurf berechtigt?

Christian Baden: Teils, teils. Bei einer so langfristigen Entwicklung wie der Konfrontation zwischen Regierung und Opposition in der Ukraine ist es erst einmal nicht so erstaunlich, dass nicht alle Journalisten zu jeder Zeit am selben Ort rumhocken. Die Situation am Maidan war zwar katastrophal, aber eben genauso katastrophal wie am Tag zuvor. Natürlich dauert es dann einige Stunden, bis die Kollegen von „Tagesschau“ und „heute“ von anderen Recherchen zurück und wieder vor Ort sind. Allerdings hätte man freie einheimische Journalisten einkaufen können – das haben die Öffentlich-Rechtlichen verpennt.

In sozialen Netzwerken wurde betont, dass ausländische Medien sehr viel schneller und souveräner reagiert hätten. Warum gelang ihnen das besser?

Das kann teilweise Zufall sein, kann aber auch daran liegen, dass ausländische Medien einen anderen Fokus haben. Deutsche Medien beschäftigen sich eher damit, was in der Zivilgesellschaft und im Land los ist, als beispielsweise amerikanische. Das führt dazu, dass deutsche Journalisten etwas mehr rumreisen, auch wenn sie natürlich versuchen, zu den entscheidenden Zeitpunkten in den Zentren der Macht zu sein. Hinzu kommt, dass hierzulande schon einige Male über die Ukraine berichtet wurde und man daher in der Berichterstattung an vorhandenes Wissen anknüpfen kann.

Im Vergleich zum Arabischen Frühling hat man das Gefühl, dass die Berichterstattung besser war. Trügt dieser Eindruck?

Nein, das hat tatsächlich besser funktioniert. Allerdings muss man die Situation damals mit der Berichterstattung über die Ukraine 2005 vergleichen. Es gab eine Begeisterung für die Revolution, nicht nur in den Medien, sondern auch in der Öffentlichkeit. Nach dem Motto: Wir erleben endlich, wie ein weiteres Land, eine weitere Region die Diktatur abwirft und das Zepter selbst in die Hand nimmt. In der Ukraine haben wir dann das Scheitern erlebt, worüber ebenfalls viel berichtet wurde. Dieses Scheitern ist dem deutschen Medienpublikum noch immer recht präsent. Ginge man – rein spekulativ – davon aus, in Ägypten käme erneut eine Militärdiktatur an die Macht und in fünf Jahren gäbe es wieder Proteste auf dem Tahrirplatz, dann glaube ich, dass die Medienresonanz ebenfalls viel geringer ausfiele als beim ersten Mal. Die journalistische Bereitschaft, so etwas mit vollem Einsatz und voller Begeisterung zu begleiten, hängt auch an dem Gefühl, dabei zu sein, wenn Geschichte gemacht wird – nicht bei einem Episödchen. Da fährt man sozusagen mit angezogener Handbremse. Das zeigt sich auch in der unterschiedlichen Narrative.

Was meinen Sie damit?

2005 hieß es, die Ukraine breche auf zur Demokratie und entkomme endlich dem russischen Dunstkreis. Sie wende sich der EU zu, now and forever. Da wurden gravierende, langfristige Grundsatzentscheidungen reininterpretiert. Heute heißt es: Die Ukraine droht zu zerbrechen, die Krise weitet sich aus. Im Grunde zeigt man die komplette Verfahrenheit der Situation. Dass man heute nicht mehr so optimistisch ist – man könnte auch sagen: so naiv –, zu sagen, das sei jetzt der Aufbruch zu etwas Großem, hat natürlich sehr viel damit zu tun, dass man das schon mal gesehen hat.

Sind die Medien übersättigt?

Das ist ein allgemeines Problem. Idealerweise siegt eine Revolution innerhalb einer Woche, dann ist die Medienaufmerksamkeit noch da. INTERVIEW: LAN-NA GROSSE