: Hip Hip Hurra GmbH
Profis mit beschränkter Haftung: Wenn die Alemannia tagt, ist Zeit für große Gefühle und kleine Formfehler
Man war extra umgezogen, um den erwarteten Ansturm der Vereinsmitglieder verkraften zu können. Nicht wie sonst im Saaltheater Geulen in 50er-Jahre-Romantik fand am Montagabend Alemannia Aachens außerordentliche Mitgliederversammlung statt, sondern im Eurogress, einem grässlichen 70er-Jahre-Klotz. Auch die obligatorischen Brühwürste wurden nicht wie sonst mit Fritten gereicht, sondern mit Brötchen und Salatgarnitur. Ein Aachener Abend voller Traditionsbrüche.
Das sei „eine der wichtigsten Mitgliederversammlungen der Geschichte“, sagte Präsident Horst Heinrichs gleich zu Beginn und kündigte an, es werde formeller und genauer zugehen als gewöhnlich. Denn Alemannia sollte sich splitten. Wie es schon ein gutes Dutzend anderer deutscher Profiklubs gemacht hat, sollte die Lizenzspielerabteilung ausgegliedert und zur GmbH werden. Das hat Haftungs- und Steuervorteile, eröffnet der Alemannia zudem die Chance, als Bauträgerin beim geplanten Stadionneubau Sportpark Soers aktiv zu werden. Gleichwohl ist es ein schwerer Schlag für die rituell denkende Vereinsfamilie, ein “Ausverkauf der Seele“. Der unmittelbare Einfluss der Mitglieder wird verringert und der Einstieg fremder Investoren zumindest offen gelassen. Deshalb war die Ausgliederung heftig umstritten.
Sie bedeutet ganz sicher eine Abwertung zukünftiger Mitgliederversammlungen. Das wusste auch der zackige Ehrenpräsident Leo Führen (84). Er gab noch einmal alles „für unsere geliebte Alemannia“ und nahm die Ehrennadelübergaben und Totenehrungen nicht nur „in gewohnt schmissiger Art“ (Heinrichs) vor, sondern brillierte im persönlich 72. Jahr seiner Vereinsmitgliedschaft mit wunderbaren Versprechern wie „Vereinshörigkeit“ statt Zugehörigkeit. Sein abschließend dreifaches „Hip Hip Hurra“ nach 53 Minuten Urkundenüberreichungsmarathon donnerte so vehement durch den Saal, dass einer spottete: „Schon diese Schallwelle hat den Umzug voll gerechtfertigt.“
Dann wurde es ernst. Aussprache und Abstimmung. Zweifelnde Fragen hier, hilfreiche und verwirrende Antworten dort. Als die Motzkis Oberwasser zu bekommen drohen, tritt Vereinsmitglied Jürgen Linden als Joker ans Fragesteller-Mikro. Der Mann ist Aachens und Alemannias Allzweckwaffe, ein rhetorischer Filou, zudem Oberbürgermeister der Stadt und Verwaltungsratmitglied des Vereins. Seine bauernschlaue Brandrede (“Haben wir denn vergessen...?“), die zudem die „begründete Hoffnung auf langfristige Erstklassigkeit“ anmahnte, erntete tosenden Applaus. Die Kritiker kamen nicht mehr unbebuht aus ihrem Strafraum heraus.
Dann endlich, nach über drei Stunden, die geheime Wahl. Von 8.588 Mitgliedern seien, so Präsident Heinrichs, „551 Stimmberechtigte anwesend“. Man warf Stimmkarten in Kartons. Dann das Ergebnis: 461 Ja-Stimmen, 14 Enthaltungen, 77 Nein-Stimmen. Antrag angenommen. Applaus. Alemannia Aachen ist, rückwirkend zum 1.1.2006, eine GmbH.
Oder doch nicht? Waren das nicht 552 abgegebene Stimmen? Schnell änderten Lokalpresse und Alemannias Online-Redakteur die Ausgangszahl. Vom Podium keine Reaktion. Stattdessen Tumulte an der Saaltür, Brüllerei. Geschäftsführer Bernd Maas gibt kund, man habe sogar „zweimal durchgezählt“, zudem sei „zeitweise ein Notar anwesend gewesen“. Einer der 77 Ablehner erwischt noch das Mikrophon: Als die Auszählung fotografiert werden sollte, seien „die Zähler mit den Kartons wie ein Schwarm Bienen geflüchtet“. Für Momente war das Chaos größer als in Alemannias Abwehr beim 0:3 in Leverkusen. Doch dann war die Versammlung rasch geschlossen. Hip Hip Hurra: GmbH. BERND MÜLLENDER
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