Kalkulierter Affront mit hohem Symbolwert

Zum ersten Mal besucht Japans Ministerpräsident Koizumi den Yasukuni-Schrein offiziell am Kriegsgedenktag

TOKIO taz ■ Ministerpräsident Junichiro Koizumi wurde von Veteranen und Nationalisten bejubelt, als er am Dienstagmorgen seiner Dienstlimousine entstieg. Begleitet von einem Schintopriester ging der Regierungschef in die Haupthalle des Yasukuni-Schreins, legte weiße Chrysanthemen nieder und betete zehn Minuten lang. Im Unterschied zu früheren Pilgergängen machte Koizumi keine Anstalten, den Pilgergang als privat zu kaschieren. Im Gästebuch signierte er: Junichiro Koizumi, Ministerpräsident.

Der Regierungschef, der im September abtritt, besuchte das Heiligtum im Zentrum Tokios zum sechsten Mal, erstmals allerdings am symbolträchtigen 15. August, dem Gedenktag an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Asien. Im Schrein werden neben 2,5 Millionen Kriegstoten auch 14 von einem internationalen Gericht als Kriegsverbrecher verurteilte Militärs verehrt.

China und Südkorea, die unter Japans Besatzung besonders zu leiden hatten, empfinden Koizumis Pilgergänge als Affront. Durch den Besuch werde das Gewissen der Menschheit mit Füßen getreten und die Grundlage der Beziehungen untergraben, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums in Peking. In Südkorea wurde Japans Botschafter ins Außenministerium bestellt. „Japans Ministerpräsident lässt jeglichen Respekt gegenüber Korea vermissen“, erklärte Südkoreas Außenminister Ban Ki-moon. Korea feiert am 15. August die Befreiung von der japanischen Besatzung.

Kritische Töne gab es aber auch in Japan. Die Neue Komeito, der Koalitionspartner der regierenden Liberaldemokraten (LDP), sprach von einem bedauerlichen Akt. Am Montagabend hatten in Tokio rund 1.000 Japaner, Südkoreaner und Taiwaner gegen den erwarteten Besuch demonstriert. Laut Umfragen ist mehr als die Hälfte der Japaner der Ansicht, dass Koizumis Nachfolger sich vom Yasukuni-Schrein fernhalten sollte. Die Diskussion wurde jüngst durch neu aufgetauchte Schriftstücke belebt. Notizen eines Sekretärs von Kriegskaiser Hirohito legen nahe, dass dieser dem Schrein den Rücken kehrte, nachdem 1978 Platz für 14 Kriegsverbrecher geschaffen wurde. Der amtierende Kaiser Akihito ist dem Aufruf nationalistischer Kreise, er möge den Yasukuni beehren, jedenfalls nicht nachgekommen.

Wie bereits im Vorjahr entschuldigte sich Koizumi am Dienstag für das große Leid, das Japan vor und während des Zweiten Weltkrieges verursacht habe. Der 64-jährige Politiker, der seinen Besuch als „angemessen“ verteidigte, berief sich auf ein Wahlversprechen von 2001, wonach er am Kriegsgedenktag für die Gefallenen beten wollte. Gestern war die letzte Gelegenheit, dieses Versprechen einzulösen.

Kabinettssekretär Shinzo Abe, der die besten Chancen hat, am 20. September LDP-Chef und damit neuer Ministerpräsident zu werden, hält sich mit ähnlichen Versprechen zurück. In den vergangenen Jahre hatte er die Yasukuni-Politik stramm verteidigt. Nun will er sich aber nicht festlegen, ob er als Regierungschef den Schrein aufsuchen würde.

MARCO KAUFFMANN

meinung und diskussion SEITE 11