KOSTÜMIERT ZUR PARTY
: Die Frau in Rot

Damals, als Berlin noch echt berlinisch war, so richtig provinziell

Eine Party in Neukölln. Einfach so. „Aus keinen Gründen“, hat die Freundin geschrieben. Sie ist Engländerin. Ich mag sie sehr. Es gibt Bier und Wein und Wodka. Eine Heule in der Küche spielt immer wieder Madonna und dann eine kaputte Daft-Punk-CD, die in jedem Song hakt. Später suche ich das Klo und stelle fest, dass die Wohnung hauptsächlich aus Korridor besteht. Ein einst riesiges Berliner Durchgangszimmer ist durch eingezogene Wände verkleinert und abgetrennt worden. Mir tut das immer ein bisschen leid. Wie verhängte Bilder. Oder Sofas mit Plastebezügen. Paul sagt, das liege an meiner dekadent großbürgerlichen Herkunft. „Ich dagegen“, sagt er, „als Kind kleiner Leute?“ Das Bad ist frei.

Als die meisten Gäste verbraucht und betrunken sind, kommt noch mal ein neuer Schwung. Sie tragen bunte Kleider. Einer hat Farbe im Gesicht wie die Models auf diesen Außenwerbungsplakaten. Sie waren grad auf einer Kostümparty, erzählt er. Eine Frau ganz in Rot kommt in die Küche. Ich spreche sie an. „Du warst auch auf der Kostümparty, oder?“ Sie sieht mich an. „Nein“, sagt sie.

Oh Gott, denke ich, jetzt ist es passiert. Wie oft wurde ich als Teenager auf meine Klamotten angesprochen. Bunt waren sie. Hippiemäßig. Durch die halbe Stadt bin ich gefahren, um eine echte Levi’s von 1970 zu kaufen. Sie passten nie richtig. Sie gingen sofort kaputt. Aber sie waren authentisch. Genau diese Authentizität empfanden die Berliner als Verkleidung. „Is Fasching heute, oda watt?“, wurde ich angequatscht. Damals, als Berlin noch echt berlinisch war, so richtig provinziell. Als die Touristen sich nur mit Polizeischutz auf die Kastanienallee wagten. Als Westberlin noch fremd war und von Neukölln niemand gehört hatte.

Ich schlage die Hände vors Gesicht. „Oh Gott!“, sage ich. Die Frau in Rot fängt an zu lachen. „Entschuldige“, sagt sie, „das war zu einfach.“ LEA STREISAND