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Archiv-Artikel

Bedenklicher Nachlass

KOLONIALES ERBE Bunte Masken, mystische Schädel: Die ethnologischen Sammlungen der Museen sind beeindruckend. Doch die Herkunft vieler Exponate ist zweifelhaft

VON NINA APIN

2010 wurde Peter Junge verheiratet. Der Kurator der afrikanischen Abteilung des Ethnologischen Museums ehelichte eine drei Meter hohe, bunte Stoffskulptur. Nur durch diesen Trick konnte das Kultobjekt der nigerianischen Igbo-Kultur den Besitzer wechseln, ohne im schnöden Sinne „verkauft“ zu werden. Der Vertrag zwischen dem nigerianschen Verein Ikuku-Berlin und dem Museum sah einen Brautpreis von 40.000 Euro plus eine Flasche Rum und einen Hammel vor. Nach der rituellen Schlachtung des Hammels und dem Verzehr des Rums war das Museum um das Objekt des zeitgenössischen Künstlers Chief Anayo Nwobodo reicher. Jetzt füllt es in Dahlem einen ganzen Raum, Schilder informieren über den Verein und seine Rolle im zeitgenössischen Berliner Kulturleben. Das unkonventionelle Museumsritual zeigt, wie ein respektvoller, heute angemessener Umgang mit Objekten anderer Kulturen funktioniert. Es ist allerdings auch eine Ausnahme. Die Realität im Ethnologischen Museum sieht so aus: eine Zylindervase der Maya-Kultur, ein Perlenthron aus Kamerun, ein Klubhaus von der Südseeinsel Palau – vieles hier vermittelt den Besuchern „faszinierende Einblicke in die Vielfalt außereuropäischer Kulturen“, wie es exotisierend auf der Website des Museums heißt .

Zierde der Hauptstadt

500.000 solcher ethnologischen und archäologischen Objekte aus allen Teilen der Welt umfassen die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Es sind, laut Selbstdarstellung der Museen, „herausragende materielle und immaterielle Kulturgüter, die außerhalb Europas entstanden und überwiegend im 19. und frühen 20. Jahrhundert nach Berlin gelangten“.

Eine Zierde der hauptstädtischen Museumslandschaft, findet der Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und freut sich darauf, dass die Schätze nach dessen Fertigstellung aus Dahlem ins Humboldt-Forum in der Stadtmitte ziehen sollen. Er verspricht, dass man am neuen Standort das „Stigma des Exotischen“ ablegen und Wert legen werde auf „gleichberechtigte Präsentation und Wahrnehmung der Weltkulturen“. Das Museum soll mit Kuratoren aus den Herkunftsländern der Objekte arbeiten und das Zustandekommen der eigenen Sammlungen kritisch beleuchten.

Weniger Ethno-Blick und mehr Gleichberechtigung: Kolonialismuskritikern reicht das nicht. Für sie sind große Teile der Dahlemer Sammlung eben kein preußischer Kulturbesitz, sondern schlicht Beutekunst: unrechtmäßig erworben, erpresst oder erplündert von deutschen und anderen westlichen Kolonialherren. Initiativen und Vereine wie NoHumboldt 21 und Berlin Postkolonial fordern darum einen Baustopp für das Humboldt-Forum – und eine Rückgabe von Kunstschätzen und Kultgegenständen an die Nachfahren der rechtmäßigen Eigentümer. Sie problematisieren auch den Umgang mit Menschenschädeln und Knochen – „Human Remains“ genannt: So dürften rund 1.000 Schädel und Knochen, die der Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg Anfang des 20. Jahrhunderts bei einer Expedition in Deutsch-Ostafrika (heute Ruanda, Burundi und Tansania) gesammelt hat, im Depot der SPK lagern. Über die genaue Anzahl und den Verbleib hüllen sich die Institutionen allerdings in Schweigen. Am 26. Februar 1885 endete in Berlin die Afrika-Konferenz, auf der die europäischen Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent untereinander aufteilten: Anlass für eine Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe – und wie Berlin heute damit umgeht.

Über koloniales Erbe und den Streit um Gebeine lesen Sie auf ➤ SEITE 44, 45