Akutaufnahme für Ärztinnen

In den NRW-Psychiatrien stehen zehn Chefs nur einer Chefin gegenüber. Ein Mentorenprogramm soll Ärztinnen jetzt helfen, auch ohne Burschenschaften und Vereinsklüngeleien Karriere zu machen

„Männer haben Burschenschaften, wir fügen uns völlig gewaltfrei Schmisse zu“

von LUTZ DEBUS

Durch einen Zufall sei sie in die Psychiatrie gekommen – wie so viele. Ute Repp lächelt. So selbstbewusst, wie die 42-Jährige im Arztzimmer mit Schreibtisch und Sitzgruppe sitzt, besteht kein Zweifel, dass sie keine Patientin ist. Um zu ihr zu kommen, muss man an einer Glastür klingeln. Ein Pfleger mit klirrendem Schlüsselbund öffnet. Ute Repp trinkt ihren Pfefferminztee aus einer kleinen weißen Krankenhaustasse. Die Psychotherapeutin und Psychiaterin arbeitet auf einer Station für psychisch kranke Straftäter. Ob sie durch einen Zufall auch einmal Klinikleiterin wird? Repp schüttelt den Kopf. „In nächster Zeit nicht.“ In den Kliniken des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) seien die Führungspositionen schon verteilt: 50 Männer und fünf Frauen besetzen die leitenden Stellen. Deshalb habe der LVR, ihr Arbeitgeber, ein Mentoringprogramm gestartet. Erfahrene Ärztinnen sollen Berufsanfängerinnen bei ihrem Weg durch die Hierarchie begleiten.

Der Zufall, von dem sie eingangs berichtet, war übrigens ein typisch weibliches Karrierehemmnis. Nach dem Abitur wollte die Kölnerin eigentlich Informatik studieren. Aber unverhofft wurde sie schwanger. Eltern und Freunde wohnten in Köln, den Studienplatz gab es für dieses Fach nicht dort, sondern in Aachen. So entschied sich Repp kurzfristig um, begann ein Medizinstudium. Schnell merkte sie allerdings, dass es eine junge Mutter in der Welt der Halbgötter in Weiß nicht leicht hat. Allein schon die Arbeitszeiten waren schwer mit einem Familienleben zu vereinbaren. Der Partner, auch Student, konnte in einer Nacht als Taxifahrer das Vielfache dessen verdienen, was eine angehende Ärztin für einen Bereitschaftsdienst bekam. An eine geregelte 40-Stunden-Woche war sowieso nicht zu denken. Manche Kollegen scherzten: „Wir haben einen geregelten 40-Stunden-Tag.“

Eine Möglichkeit, später vom eigenen Kind doch nicht gesiezt zu werden, tat sich in der Psychiatrie auf. Natürlich hatte auch Ute Repp zunächst Vorbehalte. Den psychiatriekritischen Film „Einer flog übers Kuckucksnest“ hatte sie bereits als Jugendliche gesehen. Aber schon in den ersten Tagen merkte sie, dass in der Psychiatrie die Uhren anders ticken. Nicht nur, dass die Arbeitszeiten in der Regel eingehalten wurden. Der Kontakt zwischen Ärztin und Patienten war auch nicht so steril. Zuvor, in internistischen Abteilungen, waren die Ärzte manchmal völlig ratlos, wenn sie einem Patienten die Diagnose „Krebs“ mitteilen mussten. In der Psychiatrie war das Gespräch zwischen Ärztin und Patienten nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das imponierte Ute Repp.

Aber es gab auch Enttäuschungen. Bei einem Einstellungsgespräch äußerte ausgerechnet eine Frau, eine Betriebsrätin, Bedenken: „Sie wollen so starken Männern sagen, wo es lang geht?“ Gemeint waren die Patienten. Mit denen hat Ute Repp kaum negative Erfahrungen gemacht. Sechs Jahre habe sie auf einer besonders anstrengenden Station gearbeitet: Akutaufnahme für Frauen. „Da wurde ständig herum geschrieen, gekratzt, gespuckt.“ Auch die einzig wirklich bedrohliche Situation in ihrer Berufslaufbahn erlebte sie mit einer Frau. Während einer Aufnahme zückte eine Patientin plötzlich eine echte Pistole. Insgesamt aber, so die Einschätzung der Psychiaterin, seien die Arbeitsbedingungen in Köln sehr angenehm.

Inzwischen leitet Ute Repp die Station 32 der Rheinischen Landesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im rechtsrheinischen Köln-Merheim. Außerdem arbeitet sie in einem Gremium, das sich mit der Qualitätssicherung in der Klinik beschäftigt. Trotzdem möchte sie beruflich noch weiter kommen. Die Hierarchien in den psychiatrischen Kliniken des LVR seien zwar viel flacher als an Unikliniken, für Frauen aber noch immer zu steil. In Köln-Merheim ist von den fünf ärztlichen Abteilungsleitungen nur eine mit einer Leiterin besetzt. In dieser Abteilung von Barbara Müller-Kautz arbeitet Ute Repp. „Unsere Abteilung ist beliebt wegen des kooperativen Umgangsstils.“

Das Mentoring-Programm, das vom Arbeitgeber, dem Landschaftsverband, kurz „MeDoc“ genannt wird, soll nun mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Aber wie kann das funktionieren? Ute Repp lächelt etwas sarkastisch: „Männer haben Burschenschaften, hier in Köln auch Karnevalsvereine.“ Da werde ordentlich protegiert und geklüngelt. Mit einer Studentischen Verbindung möchte sie das regelmäßige Treffen der Ärztinnen aus dem Rheinland aber nicht vergleichen. „Wir fügen uns völlig gewaltfrei Schmisse zu.“ Es gehe um informelle Kontakte, um Austausch von Erfahrungen mit Bewerbungen, um innerbetriebliche Ausschreibungen. Den Frauen im Mentoring-Programm werde durch lebendige Beispiele vermittelt, dass es tatsächlich auch Karrieremöglichkeiten für sie gibt.

Das funktioniert: Eine ehemalige Mentee aus den Kliniken in Düren ist inzwischen Chefärztin der Gerontopsychiatrie in Bedburg-Hau. Und besonders stolz sind die Mentorinnen und Mentees auf deren Chefin in Bedburg-Hau, die erste Klinikdirektorin des Landschaftsverbands Rheinland. Die in Tschechien geborene Marie Brill ist der gelungene Prototyp der behördlichen Gender-Politik.

Wenn Ute Repp sich mal wieder von ihren Kollegen verabschiedet, weil sie zu „MeDoc“ in eine benachbarte Klinik fährt, wird sie manchmal etwas hämisch abgekanzelt. „Fährst du wieder zu deinem Frauenclub.“ Das Wort Kränzchen sei noch nicht gefallen, daran hätten manche Kollegen aber sicher schon gedacht, mutmaßt die Psychiaterin. Aber einige Männer seien durch ihr Engagement auch zum Nachdenken gebracht worden. Eine vernünftige Karriereplanung mache schließlich auch bei Männern Sinn.