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Die Welt des teuren Qualms

Andreas Hegerlik widersetzt sich dem Zeitgeist. Der Tabakhändler in der Marheinekehalle trotzt all den Hetzkampagnen vom Tod durch Teer. Die Kunden bleiben treu, manche kommen seit den 60ern, als der Vater den Laden eröffnete. Nur das Sortiment wird schmaler und kostspieliger. Und exklusiver

Da kommt jeden Tag eine Dame, die ist über 90 und rauchte schon in den Cafésin den Zwanzigern

VON HANS W. KORFMANN

Wenn morgens um acht die Halle aufmacht, wenn die Händler kommen und ihre Läden öffnen, beschäftigen sich die meisten von ihnen mit ihren Kisten und ihren Schubladen, mit ihrer Buchhaltung oder mit der neuen Ware, die gerade geliefert wird. Denn Kreuzberg schläft um diese Zeit noch. Weil in Kreuzberg die Nächte so lang sind. Nur da, wo es Kaffee, Croissants und Brötchen gibt, da bewegt sich schon etwas. Auch vor den Zeitungen in der Halle stehen sie und natürlich vor dem kleinen Stand von Andreas Hegerlik.

„Morgen!“, sagen sie oder: „Mann, ist das heute wieder heiß“, und Andreas Hegerlik schiebt über die Theke, was sie brauchen, jeden Tag das Gleiche. Viele seiner ersten Kunden sind „Pumper“, die zahlen alles zusammen am Monatsende oder einmal in der Woche oder so, wie es gerade eben kommt und geht, das Geld. Als einer mit einem druckfrischen Fünfziger winkt, fragt Hergerlik: „Wo hast’n den her? Sag bloß, es hat tatsächlich einer gezahlt von deinen Auftraggebern?“

Die frühmorgendliche Stammkundschaft kennt er gut, sie kommen zwischen acht und halb neun, danach wird es wieder ruhiger. Zehn Uhr, das wäre zu spät für sie. Sie müssen gleich morgens in die Halle. Ihnen würde etwas fehlen sonst. „Ich habe eben die besten Kunden“, sagt Hegerlik, und irgendwie ist es wahr: Sie sind treuer als die Kunden der Wein- und Wurstverkäufer. Sie brauchen sie tatsächlich, diese tägliche Portion Tabak.

Doch nicht alle der morgendlichen Kunden sind alte Stammkunden. Hin und wieder mischen sich auch jüngere Raucher unter die Frühaufsteher. Sie sind auf der Suche nach Blunt-Blättchen mit Erdbeergeschmack oder Melone. Die „Blunts“ sind gerade in Mode, die zusammengerollten, aromatisierten Tabakblätter werden meistens mit Cannabis Sativa gefüllt, die Mischung soll ein Hit sein. Ansonsten gilt die alte Regel: „Am Morgen ein Joint, und der Tag ist dein Freund.“ Allerdings gibt es auch noch einfache Tabakraucher unter den jungen Leuten, sie schieben mit saurer Miene einen Zehner für das Päckchen Camel rüber und sagen: „So wird er wieder klein, der Schein!“

Sie leiden, die Raucher! Sie haben es schwer. Nicht wegen der Lunge voll Teer. Es sind die Preise, die ihnen zu schaffen machen, und diese militanten Nichtraucher, die „eine regelrechte Hetzkampagne“ losgetreten haben, die sie aus den Lokalen zu treiben versuchen, aus den Flugzeugen, den S-Bahnen, den Autobussen, den Büros, ja sogar aus den öffentlichen Parkanlagen. Noch dürfen sie rauchen in der Markthalle, aber wie lange noch?! Im neuen Konzept steht noch nichts von einem zukünftigen Rauchverbot, aber Hegerlik ist sich sicher, dass er dann zum Rauchen vor die Tür muss.

Nein, sie machen es einem schwer, diese Gesundheitsfanatiker. Allein bei den Zigaretten hat Hegerlik seit der letzten Tabaksteuererhöhung 50-prozentige Einbußen zu beklagen. Ausgleichen konnte er den Verlust mit dem Verkauf von Zigarettenbausätzen, den so genannten Sticks. Doch seit März sind die vorgedrehten Tabakröllchen, die man nur noch in die Hülse schieben muss, wie Zigaretten zu versteuern, und Hegerlik verkauft gerade die letzten Restposten. Auch einzelne Zigaretten, die er als einer der wenigen all die Jahre über für ein paar Pfennige anbot, darf er nicht mehr verkaufen. Schließlich gibt es jetzt Zehnerpackungen für die Leute mit dem kleinen Rauchbedürfnis oder dem kleinen Portemonnaie.

Dabei sind die Raucher so sympathische Menschen. Sie lachen mehr. Sie reden mehr. Sie trinken mehr. Manche aber trinken viel mehr, und die Kombination von Tabak und Alkohol ist nicht ungefährlich, sie hat Hegerlik schon einige Kunden gekostet. Ältere Kunden zwar, Kunden, die er schon vor 15 Jahren übernommen hat, als Mutter Hegerlik das Stehen in der Halle zu lange wurde. Aber dennoch. Andererseits hat er noch eine Hand voll Kunden, die kamen schon zu seinem Vater, um sich ihren Tabak zu holen, die kaufen sich seit 1966 ihren Stoff in der Halle und leben immer noch. Da kommt jeden Tag eine Dame, die ist über 90 Jahre alt, die saß schon in den Zwanzigern in den Cafés und den Tanzlokalen Berlins und rauchte. Solche Menschen sind wichtig für den Tabakverkäufer, ohne diese lebenden Gegenbeweise hätte die Kampagne vom Tod durch Teer, die mit ihren großlettrigen Warnungen die schmuckvoll verzierten Zigarettenschachteln verschandelt, den Tod des Tabakladens bedeutet.

Doch noch widersetzt er sich dem Zeitgeist. Auch wenn das Sortiment an den glimmenden Stängeln längst nicht so vielfältig ist wie früher. Die Orientzigaretten sind am Aussterben, selbst Finas und Senoussi sind aus den Regalen verschwunden, einsam hält die Orienta die Stellung. Die Cowboys beherrschen den Markt, doch noch gibt es so scheinbar unsterbliche Marken wie Eckstein, Karo, Salem oder Reval, die längst den Ruf einer deutschen Spezialität haben. Und natürlich gibt es noch wahrhaft exotische Zigaretten wie Djarum oder Gudam Gavam aus Indonesien oder die Cohiba aus Spanien. Die exotischste von allen aber kommt gar nicht von so weit her: Sie heißt „Exotic Mango“ und kommt aus dem Hause Planta – in der Hagelberger Straße. In dem Kreuzberger Hinterhof wird auch der „Schwarze Pfefferdreh“ geschnitten, ein starker Tobak mit Kirchturm und Straßenlaterne auf der Verpackung, der sich einer kleinen, aber treuen Fangemeinde erfreut.

Die Exklusivitäten allein jedoch reichen zum Leben nicht aus. Die dicken Zigarren sind eines der wichtigsten Standbeine von Hegerliks Tabakladen. In den gläsernen Humidoren mit den kupfernen Hygrometern warten die schlanken, die kurzen, die langen, die dicken, die krummen, die dunkelbraunen, die hellgrauen, die handgedrehten und die in Whisky getunkten Tabakröllchen aus aller Welt geduldig auf ihren Raucher. Sie kommen aus Havanna, aus Honduras, aus Nicaragua, aus Brasilien, sie sind legendenbehaftet und kosten 2,50 Euro oder 25 Euro das Stück. Und sie verkaufen sich alle, die günstigen so gut wie die teuren.

Die Zigarre ist kein kleiner, stinkender Stumpen im Mundwinkel des Hausmeisters mehr. Die Zigarre ist im Aufstieg. Und auch, wenn die Havanna nicht mehr so akkurat gedreht wird wie früher, so ist sie noch immer die Legende unter den Legenden. Hegerlik weiß, wovon er spricht, selbst Fachmagazine vergleichen ihn mit Berlins berühmtestem Zigarrenladen am Ludwigkirchplatz. Eine gute Zigarre „muss vollreif und würzig sein, sie kann sogar ein kleines bisschen süß sein – so wie alter, fassgelagerter Wein …“, sagt Hegerlik. Und dann spürt man, dass schon sein Vater einst Tabak verkaufte und dass der Sohn da groß geworden ist, in dieser faszinierenden Welt der herben Gerüche, der Welt des teuren Qualms.

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