: Kalte Attraktionen
„The Pianoturner of Earthquakes“, der neue Film von Stephen und Timothy Quay
„Locus Solus“ heißt der Park in Raymond Roussels gleichnamigem Roman. Sieben künstliche Wunder sind darin angelegt, Werke aus Zahnrädern, Federn und Gewinden, die sich in ihrem zauberhaften Mechanismus auf die Bestimmung des Wetters verstehen oder auf den Erhalt besonderer Geschöpfe. Zum Beispiel ein wunderlicher Flüssigkeitsbehälter, der einer eingelegten Tänzerin als Biotop dient. Außerdem gibt es Leichen, denen via Elektroschocks künstliches Leben eingehaucht wird. Dessen Höhepunkte wiederholen sich im Minutentakt.
Dieser Themenpark eines verspielten, manischen Geistes mit seinen künstlichen Ruinen, Wasserfällen und Höhlen hat es den Brüdern Stephen und Timothy Quay in „The Pianoturner of Earthquakes“ angetan, ihrem zweiten abendfüllenden Kinofilm nach „The Institute Benjamenta“ (1995). Die Wunder von Locus Solus finden sich in grotesken Variationen im Irrgarten des Doktor Droz wieder, den Regisseure nach einem Automatenhersteller des 18. Jahrhunderts benannt haben. Das Schloss des teuflischen Tüftlers sieht aus, als habe Gaudí es in einem beschwipsten Gestaltungsanfall zusammengeknetet, dann aber vor dem Richtfest das Interesse verloren. Es beherbergt etliche Automaten, die die seltsamsten Szenarios durchspielen. Da gibt es einen Holzfäller, der die Axt schwingt und sich selbst ins Bein schlägt. Sein grelles Blut bildet eine hübsch glänzende Lache, und dann geht das Spiel wieder von vorne los. Eine Art Sexbombe gibt es auch, die mit umso verwegeneren Dekolletés, umso größer werdendem Ohrschmuck und umso röteren Lippen auftritt, je besser ihr ein Besucher gefällt. Doch dieser Automatismus gehört zu keiner Olympia, sondern zu einem Zwangscharakter aus Fleisch und Blut. Abends legt sich das fremdgesteuerte Geschöpf ein Domina-Outfit zu und vergnügt sich beim Hauen und Stechen mit dem Hausherren.
Dr. Droz, den Gottfried John mit viel Sinn für die Emphase des Gothic-Märchens und den Pathos einsamer Genies spielt, hat die Opernsängerin Malvina van Stille (Amira Casar) entführt und hält die schöne Blassheit jetzt wie einen somnambulen Kanarienvogel in seinem Gemäuer gefangen. Im omnipotenten Schöpferwahn hat er eine Oper geschrieben, die mit Malvinas Stimme zur Vollendung finden soll. Damit seine knarzigen Musikautomaten wieder klingen, bestellt er sich einen Klavierstimmer, der uns in seiner Unentschiedenheit aus Ehrfurcht und Erschrockenheit die Besichtigung des Anwesens und die notwendigen Reflexionen dazu abnimmt.
Die Brüder Quay, denen diesmal Terry Gilliam als Produzent zur Seite steht, interessieren sich ausschließlich für die Attraktionen und Kauzigkeiten ihrer Ausstattung und herzlich wenig für die künstlichen Wunder des Kinoillusionismus. Da darf das Spiel ruhig lausig sein, solange Himmel und Felsen Arnold Böcklins „Insel der Toten“ gleichen, solange Tag und Nacht sich widersprechen wie in René Magrittes Gemälde „Das Reich der Lichter“ und solange ihre Landschaftsinszenierungen den Bildungsbürger an die des portugiesischen Barocks erinnern. Und so kommt ihre Bildergeschichte wie ein anstrengendes Namedropping daher. „Herzog Blaubarts Burg“, der Orpheus-Mythos, Jules Vernes „Schloss in den Karpaten“ und und und. Auch die Animationssequenzen, die sich vor dem tschechischen Künstler und Filmemacher Jan Švankmajer verbeugen, bleiben formelhaft. Ein eklektizistisches Zitatenspiel, das man sich als Opernaufführung vielleicht noch vorstellen kann, das aber in den Überhöhungen einer Filmeinstellung schwer erträglich ist und in seiner kalten L'art-pour-l'art-Manier den Automaten des Dr. Droz in nichts nachsteht.
BIRGIT GLOMBITZA
„The Pianoturner of Earthquakes“.Regie: Stephen und Timothy Quay.Mit Amira Casar, Assumpta Serna u. a., Deutschland/Großbritannien/Frankreich 2005, 99 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen