Die nationalistischen Wunden brechen auf

In Bosnien-Herzegowina schüren ein Anschlag auf ein Grab und Filme über Verbrechen an Serben alte Emotionen

SARAJEVO taz ■ Der Bombenanschlag auf das Grab des ehemaligen Präsidenten Bosnien und Herzegowinas, Alija Izetbegović, am Freitag vergangener Woche habe den Zweck, die politischen Emotionen zwischen den Volksgruppen, den Serben, Muslimen und Kroaten, wieder anzuheizen. Das meinte jedenfalls der bosnische Vorsitzende des dreiköpfigen Staatspräsidiums, Sulejman Tihić.

Noch gibt es keine Erkenntnisse über die Täter. Die Bombe, die ein etwa ein Meter tiefes Loch in die Grabanlage riss, stammt nach ersten Erkenntnissen aus militärischen Beständen. Die Täter waren offenbar sehr gut informiert, sie müssen gewusst haben, dass die Videoüberwachung des Friedhofs zur Tatzeit ausgeschaltet war und die Wächter nur alle zwei Stunden am Grab vorbeisahen.

Der Anschlag wurde von allen politischen Parteien des Landes verurteilt. Die serbischen Parteien widersprachen entschieden dem Vorwurf Tihićs, sie folgten einer Strategie Belgrads, Bosnien und Herzegowina zu destabilisieren. Tihić hatte behauptet, Belgrad versuche über die Veröffentlichung von Filmen aus dem Krieg, in denen Verbrechen an Serben gezeigt werden, von den eigenen Verbrechen im Krieg abzulenken und die bosniakisch-muslimische Bevölkerungsgruppe zu provozieren.

In einem der Filme wird die Ermordung eines Serben durch eine kroatische Einheit im Zuge der Rückeroberung eines Teils Kroatiens von der serbischen Besetzung im Jahr 1995 gezeigt. An dem Mord waren Soldaten der kroatischen Spezialtruppe Schwarze Mambas beteiligt. Der Film beweist, dass auch Kampftruppen der Kroaten serbische Zivilisten ermordet haben.

Für Bosnien noch wichtiger sind zwei Filme, die den bei der muslimischen Bevölkerung beliebten Exgeneral Atif Dudaković zeigen. In einem der Streifen gibt er den Befehl „pali“ („feuert“). In der serbischen Darstellung wird aus dieser Anordnung die Aufforderung: „Brennt die serbischen Dörfer nieder!“ Atif Dudaković behauptet, er habe nur einen Befehl an seine Artilleristen während der Gegenoffensive der bosnischen Armee gegeben, die nach dem Massenmord an über 8.000 muslimischen Zivilisten in Srebrenica erfolgte. In einem weiteren Film, der in Kroatien ausgestrahlt wurde, wird Dudaković als Offizier der Jugoslawischen Volksarmee gezeigt, die kroatische Dörfer angreift. In der Tat war Atif Dudaković zu Ausbruch des kroatischen Krieges im Sommer 1991 noch Offizier derJugoslawischen Volksarmee und unterstand dem Kommando des jetzt als Kriegsverbrecher gesuchten serbischen Generals Ratko Mladić, der damals Kommandeur in der kroatischen Region um Knin war. Erst im Oktober 1991 rief der bosnisch-herzegowinische Präsident Alija Izetbegović alle Militärangehörigen dazu auf, aus der Jugoslawischen Volksarmee auszuscheiden. Nach dem Angriff der Serben in Bosnien und Herzegowina unter Mladić im April 1992 wurde Dudaković Kommandeur des 5. Bosnischen Armeekorps in der Enklave Bihać, die bis Kriegsende 1995 den Angriffen der serbischen Truppen standgehalten hat.

In der internationalen Gemeinschaft werden die Auseinandersetzungen in Bosnien und Herzegowina auf den beginnenden Wahlkampf zurückgeführt. Am 1. Oktober sollen die Parlamente des Landes gewählt werden. Die Nationalisten aller Seiten wollten ihre Machtpositionen sichern, hieß es in diplomatischen Kreisen. Der Hohe Repräsentant Christian Schwarz-Schilling warnte die bosnischen Parteien vor einem Rückfall in alte Zeiten und betonte, das Land habe nur eine Chance, in die EU integriert zu werden, wenn die notwendigen Reformen baldmöglichst durchgesetzt würden.

ERICH RATHFELDER