Das große Quasseln

Forscher in Jena entschlüsseln, wie Pflanzen sich verständigen. Sie verwenden eine Art universaler Duftsprache. So können sie sich vor Feinden schützen und ihre Fortpflanzung sichern. Mit ihren duftenden Artgenossen allerdings reden sie eher selten

„Pflanzen haben die gleichen Sinne wie wir – nur nicht dieselben Organe“

VON GISELA SONNENBURG

Die Aufforderung „Lasst Blumen sprechen!“ ist eigentlich überflüssig. Blumen, Bäume, Büsche reden nämlich sowieso über ihre Probleme. Allerdings findet kein blümeranter Small Talk statt. Nur Lebenswichtiges wird von Blümchen und Co. mitgeteilt. Aber was heißt „reden“ auf Pflanzenart, „sprechen“ im vegetativen Sinn?

„Der Begriff der Sprache ist schon richtig“, sagt der Chemiker Wilhelm Boland vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena. Auch vom „Hören“ könne man sprechen, wenn Pflanze A die Mitteilungen von Pflanze B wahrnimmt: „Pflanzen haben die gleichen Sinne wie wir, nur nicht dieselben Organe, also keine Ohren, keine Augen, keinen Mund.“

Aber wie verständigen sie sich? – „Über Duftstoffe. Es geht um die Absonderung von chemischen Stoffen, die eine Signalwirkung haben.“ Terpene, aromatische Verbindungen, Fettsäuren – laut Boland gibt es eine universale Duftsprache, die von allen Pflanzen verstanden wird.

Nur in Dialekten unterscheidet sich demnach das Gebrabbel von Bohnen-, Tabak- und Tomatenpflanzen. Und nicht nur höhere Pflanzen verstehen sich – auch Tiere können die Duftmoleküle als Sinnstiftung korrekt entschlüsseln.

Darin liegt sogar der Zweck der bisher am besten erforschten pflanzlichen Reden: Das verwurzelte Grünzeug ruft mittels Duftworten Insekten herbei, die sie von Parasiten befreien – eine uralte symbiotische Kommunikation. Dabei riecht die duftige Alarmglocke einer Tomatenpflanze süßlich-fruchtig, „blütenartig“, wie Boland sagt. Und sie tritt zuverlässig in Aktion, wenn die Pflanze stundenlang angeknabbert wurde und ernsthaft in Gefahr ist.

So hat auch der Tabak, bevor er geraucht wird, triftige Duftworte parat: Das stinkende Nervengift Nikotin vertreibt selbst Säugetiere. Manche Raupen aber naschen trotzdem vom Tabak: Sie speichern das Nikotin, um selbst giftig zu sein. Um diese Spezialisten loszuwerden, sendet der Tabak übliche Duftaromen aus – prompt eilen resistente Fressfeinde der Raupen herbei.

„Man darf das alles jetzt aber nicht interpretieren“, warnen Boland und sein Mitforscher Ian Baldwin. Es seien „nur Regelkreise, keine freiwilligen Entscheidungen“, die Pflanzen zum Sprechen und Handeln brächten.

Radikale Deterministen behaupten das indes auch vom Menschen. Aber ob Tier, ob Pflanze, ob Mensch: Das Widerspiel zwischen verschiedenen Fressfeinden bestimmt die Koevolution, eine immerwährende Aufrüstung zur Selbstverteidigung.

Mit ihr geht’s zurück zur Tomate. Deren Angstgeruch bei Attacken spricht Raub- und Schlupfwespen an. Diese folgen der Duftspur – um ein üppiges Nahrungsangebot zu genießen. Um auch Ameisen zu erreichen, die größten und stärksten der wilden Nützlinge, sondern Tomatenpflanzen sogar Nektar vom Blattgrün ab. Das können normalerweise nur Blütenzellen – dem Geruch nach avanciert das schnöde Grün zum kostbaren Blütenkelch: Die Ameisen kommen.

Im Labor kann Boland diese Vorgänge vorführen, mehr noch: Er kann den Tomatenduft mit in Glashauben hängenden Filtern auffangen. Die Analyse ergibt messbare Details – sie wird die Zukunft von Bolands Forschung bestimmen: „Wir wollen die Biochemie, die innerhalb der Pflanzen abläuft, genauer verstehen.“ Immerhin ließe sich dann der eine oder andere Duft synthetisch nachbauen, um Pflanzen umweltschonend anzubauen.

Zumal Kulturpflanzen das Talent zum Hilferuf meist verloren haben. Sie wurden im Hinblick auf Ertrag gezüchtet, nicht im Sinn des Selbstschutzes. Und obwohl schon Ende der 80er-Jahre Stressdüfte von Pflanzen bekannt waren, floss dieses Wissen nicht in die Feldzucht ein. Boland: „Bei einzelnen Pflanzen und beim Innenanbau funktioniert die pflanzliche Selbsthilfe gut. Aber beim großflächigen Freilandanbau wird es kaum genügend Nützlinge geben.“

Hier kennt die Biologin Florianne Koechlin vom Basler Blauen-Institut eine Ökotechnik aus Afrika: „Das Prinzip heißt push-and-pull, also anziehen und abstoßen.“ In Kenia funktioniert das so: Um Schädlinge vom Mais fernzuhalten, werden ums Feld herum Pflanzen angebaut, die den Stängelbohrer, den gefürchteten Schädling, mit Duftstoffen nach außen locken. Zwischen die Maisreihen wird derweil ein Bohnenkraut gesetzt, dessen Geruch den Stängelbohrer vertreibt. Das funktioniert, sagt Koechlin, und für sie ist kaum verständlich, dass auch in Jena mit Gentech und Klonen gearbeitet wird, statt verstärkt auf Natureffekte zu setzen.

In Kenias Gewächshäusern lernte Koechlin zudem, auf „Chanel No. 5“ zu verzichten: „Es verwirrt Tomaten.“ Denn das in Marilyn Monroes Parfum enthaltene Methyl-Jasmonat gelte der Pflanzenwelt als Warnung vor Fressfeinden – es löse die Produktion von Abwehrstoffen aus.

Was Pflanzen nun genau zum Sprechen bringt, lässt sich kurz und bündig sagen. Ihre Sprache ist weder besonders vergeistigt noch dazu angetan, Pflanzen zu „human rights“ zu verhelfen. Es geht allein um: sex and crime. Denn wenn Pflanzen duftsprechen, dann um ihre Fortpflanzung sicherzustellen – oder um nicht gefressen zu werden. Nur dann scheint sich der Aufwand des weitreichenden Gedufte für sie zu lohnen.