Geschichten über Gewalt

NARRATIVE Unter dem Titel „Krieg erzählen“ tauschten sich auf einer gigantisch gut besetzten Konferenz Künstler, Journalisten und Wissenschaftler im HKW aus

Die digitale Revolution ist ein riesiger Fortschritt. Seitdem gilt die Definitionshoheit der Etablierten nicht mehr

VON INES KAPPERT

Es gibt unzählige Kriege und noch viel mehr Geschichten, die von ihnen berichten. Aber wie wird erzählt und wer erzählt? „Eine gute Geschichte ist nur dann gut, wenn sie rechtzeitig gesendet wird.“ Und besser, man ist schneller als der Kollege vom Konkurrenzmedium, der neben einem steht. Das ist das nüchterne Fazit aus der Praxis. In dem Fall stammt es von der Kriegsreporterin Colette Braeckman. Krieg und Kriegsberichterstattung sind auch immer Geschäft.

Zum Glück sind Künstler keinem vergleichbaren Zeitdruck ausgesetzt. Sie berichteten auf der gigantisch gut besetzten Konferenz „Krieg erzählen“, die dieses Wochenende im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfand, von anderen Herausforderungen. Etwa die Frage: „Erzähle ich die Geschichten der Opfer oder der Täter?“ Der experimentelle Filmemacher Eyal Sivan aus Israel zum Beispiel hat sich entschieden: Ihn interessieren nur noch die Geschichten der Täter.

Es sei doch so, führt er aus, am liebsten identifizierten Zuschauer sich mit den Opfern. Dass sie mit ihnen leiden, beweise ihre moralische Integrität. Die Tutsi –Sivans Film über den Genozid in Ruanda „Itsembatsemba: Ruanda One Genocide later“ wurde auch gezeigt – werden dann zu ihrem persönlichen Christus, der bekanntlich für unser aller Erlösung am Kreuz starb. Die Beobachtung der Täter und ihrer Legitimationsstrategien indessen erlaube keinen Rückzug auf die christliche Erlöserlogik. Stattdessen eröffne sie den Bereich der Reflexion, denn sie verschließe den der Projektion.

Diese radikale Argumentation erzwingt den Austritt aus dem Mainstream und ist schon allein dafür wertvoll, trotzdem muss man ihr nicht in Gänze folgen. Auch Sivans Gesprächspartnerin und Kuratorin des Filmprogramms, taz-Redakteurin Cristina Nord, fragte zweifach nach: Gibt es nicht auch ein Narrativ, das Opfern eine Stimme verleiht – ohne sie zu instrumentalisieren? Darauf hatte Sivan keine Antwort. Das war schade, änderte aber nichts daran, dass die etwa 200 ZuschauerInnen, die bei strahlendem Sonnenschein am Freitagnachmittag in den Tiergarten gekommen waren, sehr aufmerksam zuhörten.

Slavenka Drakulic, die berühmte kroatische Literatin, hatte am Vorabend zur Eröffnung eine ganz andere Position vertreten. Sie schreibe für die Opfer und erzähle deren Geschichten aus dem Alltag. Ihr ginge es um die wahren Geschichten, und die kommen „von unten“. Der Literaturwissenschaftler und Moderator Albrecht Koschorke versuchte ihrem emphatischen Wahrheitsbegriff mit Theoremen aus der Dekonstruktion beizukommen, scheiterte jedoch kläglich. Das aber lag vor allem an seiner Kommunikationsunfähigkeit.

Dabei hatten sich die Kuratoren der Konferenz, die Autorin und Journalistin Carolin Emcke und der Historiker Valentin Groebner, es sich so gut überlegt: Die Geschichte(n) des Krieges beschreiben ein derart riesiges Themenfeld, es braucht alle Wissensformationen und die Begegnung von Historie und Gegenwart, um es zu erörtern. Also wollten sie Wissenschaftler, Künstler und Journalisten (wieder) ins Gespräch miteinander bringen – doch dafür ist zumindest eine gewisse Sprach- und Sprechkompetenz nötig und die an Universitäten allzu häufig geadelte Verachtung des Publikums wenig hilfreich. Kurzum: Man muss schon ein irgendwie dechiffrierbares Englisch sprechen und nicht wie Koschorke Dinglisch professoral vom DIN- A4-Blatt ablesen.

Ganz anders fiel das Gespräch zwischen dem Kunsthistoriker Peter Geimer und dem Fotografen und Filmemacher Marcel Mettelsiefen aus. Letzterer berichtet aus der arabischen Welt, zumal aus Syrien. Es ging um Kriegsfotografie. Auch Geimer hantierte viel mit Zetteln, auf die er Zitate der großen Kriegsfotografen Robert Capa und Luc Delahaye geschrieben hatte, aber nicht um den Dialog mit dem Praktiker zu verweigern, sondern um die Institution des World Press Photo Award präzise kritisieren zu können. So werden zunehmend Bilder prämiert, die sich so sehr an das allgemein Menschliche richten, dass niemand mehr weiß, an welchem Ort etwa der Preisträger von 2013, John Stanmeyer, die Männer mit den Handys aufgenommen hat. Die Sucht nach Identifikation führt zur Entpolitisierung des Elends der anderen; hier der Flüchtlinge aus Somalia.

Mettelsiefen sah das anders. Ihn störte das Ausblenden des konkreten Ortes zugunsten einer universellen Poesie nicht. Es gäbe eben verschiedene Zugänge. Überhaupt argumentierte er stets bodenständig. In gefährlichen Gegenden kann man keine Reportage machen, weil es unmöglich ist, die Leute zu begleiten: Es bleibt das Einzelbild oder die kleine Serie. An Kriegsschauplätzen fehlt die Zeit, ästhetisch einzigartige Bilder zu machen, die nächste Kugel ist ja schon auf dem Weg. Angesichts der neuen Bilderflut dank der digitalen Medien ist es daher unwahrscheinlich, dass diese gehetzten Fotos herausstechen, also prämiert werden. Auch hier trafen (Diskurs-)Welten aufeinander, aber sie sprachen miteinander.

Die Frage nach der Veränderung der Kriegsberichterstattung angesichts von 2.0 stellte sich dann auch das Panel, zu dem Caroline Emcke die Büroleiterin der Böll-Stiftung für den Mittleren Osten und Syrien-Expertin Bente Scheller und die Bloggerin Majeda al-Saqqa eingeladen hatte. Al-Saqqa wurde per Skype aus dem Gazastreifen zugeschaltet. Beide sahen in der digitalen Revolution einen riesigen Fortschritt. Seitdem greifen bislang ungehörte Stimmen die Definitionshoheit der Etablierten an. Das gelte national genauso wie international. Dank des Netzes diskutierten junge Leute nun untereinander und jenseits der Familienbande. Die familiäre Autorität ist relativiert und es wurde eine neue Sprache entwickelt. Auch das ist Teil der Arabellion.

Al-Saqqa indessen hat mit CNN und auch der NYTimes schlechteste Erfahrungen gemacht. Mehrfach griffen sie Passagen aus den Interviews mit ihr heraus, die sie das Gegenteil von ihrer Überzeugung sagen ließen. Seitdem bloggt sie. In der Situation der totalen Eingeschlossenheit öffnet das Netz ein Fenster, das hier alle „hin und her springen lässt vor Freude“ – und der Hamas ziemliche Sorge bereitet. Der Computer gilt als Sittenfeind – man könnte Pornos gucken–, die meisten Internetcafés wurden geschlossen. Nun sitzen alle, zumal die auf die Innenräume verwiesenen Frauen, vor ihren iPhones. Saqqa grinst.

Auch in Syrien sind Facebook, Twitter und Skype die Lebensadern, die die Eingeschlossenen mit dem Außen verbinden und Gegenerzählungen zu denen des Regimes in die Welt senden – und von dieser doch nicht gehört werden. Die Bilanz der stets zurückgenommenen Bente Scheller fiel bitter aus. Seitdem westliche Unterstützer der Rebellen begriffen haben, dass das Netz nicht nur von den Guten, sondern natürlich auch von Islamisten genutzt wird, haben sie die Unterstützung so gut wie eingefroren. Das Risiko, ein geschenktes Handy könnte in die falschen Hände geraten, ist ihnen zu groß.