Ziemlich eingeschränkte Sicht

Die Medien bestimmen in außerordentlichem Umfang, wie wir einen Krieg wahrnehmen. Und das ist nicht erst seit dem dritten Irakkrieg so. Ute Daniel zeichnet deren Einfluss seit dem Siebenjährigen Krieg nach

Karl Kraus fand prägnante Worte für die Journalisten, die als Berichterstatter in den Krieg ziehen. „Stellt uns den Krieg vor. Stellt sich vor den Krieg“, schrieb er lakonisch und zeichnet damit noch heute die Figur des Kriegsreporters sehr genau.

Zu diesem Ergebnis kommt auch die Historikerin Ute Daniel, die als Herausgeberin eines Sammelbandes 250 Jahre Kriegsberichterstattung unter die Lupe nimmt. Die Beiträge von „Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert“ analysieren die Medienberichterstattung vom Siebenjährigen Krieg (1756–1763) bis zum heutigen Irakkrieg, der 2003 begann.

Ausgangspunkt der Analysen war die eigene Erfahrung. Im Golfkrieg 1991 wurde Ute Daniel überdeutlich bewusst, wie stark die Medien darüber entscheiden, was von einem Krieg wahrgenommen wird. Als Historikerin fragte sie sich: Was wissen wir eigentlich über diese Wechselwirkung in früheren Kriegen? Ihre Antwort: fast nichts. Es gibt zwar viele einschlägige Studien, doch die beschränken sich in der Regel auf Propagandaanalysen.

Doch was tun Reporter im Krieg vor Ort? Wie übermitteln sie Informationen? Was dürfen sie sehen? Was denken sie über den Krieg und über sich selbst? Und was passiert mit ihren Berichten, Fotos und Filmen? All diese Fragen waren wissenschaftlich bisher noch nie untersucht worden. Kriegsberichterstatter – so legen die Untersuchungen in Daniels Sammelband nah – sind ganz normale Menschen, die auch nicht „kriegsgeiler“ sind als der Rest der Bevölkerung. Sie arbeiten in geregelten Zusammenhängen.

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts, im Krimkrieg, als die ersten Journalisten auf den Kriegsschauplätzen in Europa auftauchen, ziehen sie mit den Offizieren und Soldaten über das Schlachtfeld. Sie werden von den Offizieren, mit denen sie abends essen und trinken, informiert, übernehmen so deren Sichtweisen vom Krieg und schreiben diese Sicht in Artikeln nieder. Das geschieht ganz automatisch und wird in keiner Weise von oben gelenkt.

Dieser Typus von Journalist hat in den letzten 250 Jahren ein ganz bestimmtes Selbstbild: Kriegsberichterstatter vermitteln von sich das Bild des objektiven Augenzeugen. Sie wollen dem Zuschauer quasi als Brille dienen, mit der dieser den Kriegsschauplatz scharf sehen kann. Das war im Krimkrieg so, und das ist noch heute so, wenn man sich die Fernsehberichterstattung ansieht. Oft zeigt der Journalist im Fernsehen auf Geschehnisse, die sich hinter ihm abspielen. Er will den Eindruck erwecken, es gebe den neutralen Augenzeugen, der nur die Aufgabe hat, uns zu berichten, was wirklich passiert.

Bis heute gibt es einen enges Band zwischen Zeitungen oder Fernsehanstalten und Kriegen. Kriege erhöhen den Nachrichtenwert, Kriege erhöhen Auflagen und Einschaltquoten, und insofern bringen sie Geld ein. Viele Zeitungen oder Medienkonzerne gründen sich erst in Kriegen, weist Ute Daniel nach. So entstand der Hearst-Konzern etwa aus dem Spanisch-Amerikanischen Krieg heraus.

Dem ökonomischen Zwang, der hinter der Kriegsberichterstattung steht, entkommt inzwischen niemand mehr. Das wird besonders deutlich, wenn man sich die irrsinnige Anzahl von Kriegsberichterstattern in den letzten Kriegen im Irak oder in Afghanistan anschaut. Absurd ist dabei, dass das, was Kriegsberichterstatter von den Schauplätzen berichten, in der Regel gar keinen Nachrichtenwert hat. Denn die Journalisten vor Ort wissen selbst nicht, was los ist. In den 90er-Jahren im Bosnienkrieg mussten Journalisten in Sarajewo den Fernseher anmachen, um zu erfahren, was eigentlich passiert. Sie konnten vor die Tür gehen und Menschen interviewen, aber die Gesamtlage des Krieges sahen sie dort nicht.

Das erfuhren sie nur über das Satellitenfernsehen. Denn Berichte vom Kriegsschauplatz können nur einen persönlichen Eindruck liefern, sie bringen das Lokalkolorit und wollen doch zugleich den Eindruck des authentischen Kriegsgeschehens vermitteln. Informationsgehalt hat das in den seltensten Fällen, konstatieren Daniel und ihre Koautoren. Oder wie Karl Kraus schrieb: „Ist es ein Krieg? Ich denk’, es ist der Friede. Die Bessern gehen und die Schlechten bleiben. Nicht sterben müssen sie. Sie können schreiben.“

KARIN FLOTHMANN

Ute Daniel (Hg.): „Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert“. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, 263 Seiten, 24,90 Euro