Ukraine total abhängig durch ein doppeltes Defizit

WIRTSCHAFT EU und IWF versuchen, einen Staatsbankrott der Ukraine zu verhindern. USA und Russland könnten sich beteiligen

■ 21. September 2004: Präsidentschaftswahlen in der Ukraine: Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch gewinnt offiziellen Ergebnissen zufolge knapp gegen Wiktor Juschtschenko. Die Opposition spricht von massiven Wahlfälschungen. Die Orange Revolution nimmt ihren Anfang.

■ 26. Dezember 2004: In einer vom obersten Gericht nach wochenlangen Protesten angeordneten zweiten Stichwahl siegt Juschtschenko knapp. Neue Ministerpräsidentin wird Julia Timoschenko.

■ 8. September 2005: Juschtschenko entlässt Regierung unter Ministerpräsidentin Timoschenko nach Korruptionsvorwürfen.

■ 7. Februar 2010: Janukowitsch gewinnt Präsidentschaftswahl.

■ 11. Oktober 2011: Trotz massiver internationaler Proteste verurteilt ein ukrainisches Gericht Timoschenko wegen Amtsmissbrauchs zu 7 Jahren Straflager und umgerechnet 137 Millionen Euro Schadenersatz.

■ 21. November 2013: Kiew legt ein Assoziierungsabkommen mit der EU überraschend auf Eis. Tausende demonstrieren dagegen.

■ 1. Dezember 2013: Hunderttausende fordern den Sturz von Präsident Wiktor Janukowitsch.

■ 17. Dezember 2013: Russlands Präsident Wladimir Putin verspricht Janukowitsch einen Kredit über 15 Milliarden US-Dollar (10,95 Milliarden Euro).

■ 16. Januar 2014: Das Demonstrationsrecht wird verschärft.

■ 22. Januar 2014: Bei Zusammenstößen werden mindestens drei Demonstranten getötet, zwei durch Schüsse.

■ 27. Januar: Die umstrittenen Gesetze vom 16. Januar wird abgeschafft, eine Amnestie für Demonstranten erlassen.

■ 28. Januar: Regierungschef Asarow reicht seinen Rücktritt ein. Am Folgetag legt Putin den zugesagten Kredit auf Eis.

■ 18. Februar: 20.000 Demonstranten ziehen vom Kiewer Unabhängigkeitsplatz (Maidan) zum Präsidentensitz und fordern Janukowitschs Rücktritt. Die Behörden legen die U-Bahn still, Sicherheitskräfte liefern sich Auseinandersetzungen mit Demonstranten.

■ 20. Februar: Die Sicherheitskräfte eröffnen das Feuer auf Demonstranten. Insgesamt werden bei Kämpfen nach offiziellen Angaben fast 80 Menschen getötet.

■ 21. Februar: Regierung und Opposition weisen sich gegenseitig Schuld für die Gewalt zu. Der Staatschef erklärt sich mit einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl zum Jahresende einverstanden. Auf Vermittlung dreier europäischer Außenminister und eines russischen Abgesandten unterzeichnen Oppositionsführer und Janukowitsch eine Vereinbarung, die die Bildung einer Übergangsregierung vorsieht.

■ 22. Februar: Janukowitsch reist in den Osten der Ukraine. Das Parlament wählt Oppositionelle zum Parlamentspräsidenten und Innenminister. Zudem verfügen die Abgeordneten die Freilassung Timoschenkos. Die ukrainischen Sicherheitskräfte stellen sich auf die Seite der Opposition. Das Parlament setzt für den 25. Mai eine vorgezogene Präsidentschaftswahl an und enthebt Janukowitsch seines Amts. Timoschenko kommt frei und reist nach Kiew.

■ 23. Februar: Die USA und der IWF stellen Finanzhilfen in Aussicht. Das Parlament wählt den bisherigen Oppositionellen Turtschinow zum Übergangspräsidenten. (sny)

BERLIN taz | Die Ukraine steht kurz vor dem Staatsbankrott und benötigt Kreditmilliarden aus dem Ausland. Die EU hat bereits finanzielle Hilfen zugesagt. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) will einspringen, wie IWF-Chefin Christine Lagarde am Sonntag versicherte: „Wir stehen selbstverständlich bereit.“ Es zeichnet sich eine konzertierte Lösung ab, an der sich auch die USA und Russland beteiligen könnten.

Die Ukraine muss in diesem Jahr noch 13 Milliarden Dollar an ihre Gläubiger zurückzahlen – und dieses Geld hat das Land nicht. Die Ratingagentur Standard & Poor’s stufte Kiew daher am Freitag auf Ramschniveau herab und warnte, dass ein Staatsbankrott wahrscheinlich sei. Auch die Anleger sind extrem misstrauisch: Kreditausfallversicherungen für die Ukraine sind derzeit doppelt so teuer wie für Griechenland.

Der drohende Staatsbankrott beschäftigt die ukrainische Politik bereits seit Monaten – und löste einen Bieterwettbewerb zwischen der EU und Russland aus. Die EU hatte der Ukraine 2013 nicht nur ein Freihandels- und Assoziierungsabkommen angeboten, sondern auch 15 Milliarden Dollar, die vom IWF kommen sollten. Allerdings waren damit Auflagen verknüpft: unter anderem die Freilassung der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko (siehe Seite 4).

Russland hielt dagegen: Präsident Putin sagte ebenfalls 15 Milliarden Dollar zu und bot zudem an, die Preise für das russische Gas zu senken, von dem die Ukraine bisher abhängig ist. Expräsident Janukowitsch entschied sich bekanntlich für Moskau – aber es flossen nur 3 Milliarden. Ende Januar stoppte Putin die Kreditvergabe wieder, weil die Proteste in Kiew außer Kontrolle gerieten.

Die Ukraine ist auf ausländische Kredite angewiesen, weil das Land ein doppeltes Defizit aufweist: Der Staatshaushalt und der Außenhandel sind permanent im Minus. Das Defizit im Außenhandel beträgt etwa 7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Denn beim wichtigsten Exportgut, dem Stahl, lahmt die weltweite Nachfrage momentan. Zudem schöpft die Ukraine ihre Potenziale nicht aus: Das Land verfügt über die besten Ackerflächen weltweit, und Getreide ist extrem begehrt. Doch pro Hektar erzeugen die Ukrainer nur etwa die Hälfte der Erträge, die in Westeuropa üblich sind.

Wie prekär die ökonomische Lage ist, zeigt sich auch daran, dass die Devisen der Ukrainer bewirtschaftet werden müssen. Privatleute dürfen nur noch für 50.000 Griwna ausländische Währungen erwerben, was etwa 4.500 Euro entspricht. Ukrainische Exportunternehmen sind zudem gezwungen, die Hälfte ihrer Erlöse bei der Zentralbank in ihre überbewertete Landeswährung umzutauschen.

Die Ukraine ist sehr arm. Im Jahr 2012 lag die Wirtschaftsleistung bei nur 180,2 Milliarden Dollar. Davon müssen 45,4 Millionen Einwohner ernährt werden. Zum Vergleich: Deutschland hat 80 Millionen Einwohner und kam 2012 auf ein Bruttoinlandsprodukt von 3,4 Billionen Dollar. Pro Kopf sind die Deutschen also zehnmal reicher als die Ukrainer. ULRIKE HERRMANN