Lokalpatrioten

Kaum ein Fachmensch zweifelt mehr am Schauplatz der Varusschlacht: im niedersächsischen Kalkriese, da war’s. Nur zwischen Sauerland und Wiehengebirge ist das anders: In den Museen und Instituten des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) kann man fragen, wen man will, keiner outet sich als „Kalkriese-Befürworter“. Ein anonymer Kenner behauptet, in Westfalen sei es politisch unmöglich, zuzugeben, die Gründungsschlacht Deutschlands habe woanders stattgefunden als auf heimischer Scholle.

Umso erstaunlicher, dass der LWL mit dem Römermuseum in Haltern federführend bei den Vorbereitungen für die 2.000-Jahres-Feierlichkeit zeichnet, die unaufhaltsam wie eine römische Legion angerollt kommt. Mit im Boot – buchstäblich, denn ein nachgebautes Römerschiff soll an Rhein, Main und Lippe herumrudern – ist das Lippische Landesmuseum in Detmold und das Kalkrieser Museum. Letzteres soll aber wohl hauptsächlich kaltgestellt werden: Auf der vom LWL betriebenen Webseite des Projektes „2.000 Jahre Varusschlacht“ mussten die Nachbarn jede eindeutige Behauptung über die Örtlichkeit der Schlacht meiden. Haltern allerdings behauptet so vollmundig wie unbelegt, das Städtchen sei bereits als römische „Provinzhauptstadt“ auserkoren worden. Ein germanisches Paris, ein London wäre sicherlich an der Lippe entstanden.

Geplant sind in allen drei Museen Sonderausstellungen, Kalkriese darf „den Krieg“ behandeln und will dazu eine einzige Konferenz durchführen, selbst das begeistert die Westfalen wohl nicht sonderlich. Den Halteranern fällt nichts Besseres ein, als „das Imperium“ darzustellen – und zwar, laut Museumsleiter Rudolf Aßkamp, ohne jeden besonderen Bezug zum Krieg, der den Anlass dafür liefert. Also zum x-ten Mal eine Ausstellung „Glanz und Gloria Roms“? Chefarchäologin Gabriele Isenberg dementiert – und hat tatsächlich interessante Grabungen im Gange. Aber ansonsten ist im Hause die Lustlosigkeit spürbar: Man weiß wohl, die Schlacht war da, wo sie nicht gewesen sein darf, daher können neue Erkenntnisse bestenfalls diese Tatsache bestätigen, ihr Substanz verleihen.

Wer, wie der berentete Hobbyarchäologe und Studienrat Rolf Bökemeier, die Landschaft nach Römischem absucht, um Kalkriese zu widerlegen, nervt den Landschaftsverband Westfalen Lippe nur, denn was er findet – und es ist einiges, nur kein ordentliches Schlachtfeld –, kann nur die Kalkrieser Theorie untermauern, da laut Quelle der listige Arminius den gutgläubigen Varus weit von den römischen Zentren weggelotst habe – weg von Detmold also, Richtung Kalkriese. Für den LWL ist ein Bökemeier-Fund automatisch ein Nichtfund.

Die Detmolder haben die etwas spannendere Aufgabe, den eng mit dem dort beheimateten Hermannsdenkmal zusammenhängenden Nationalmythos der deutschen Gründung aufzuarbeiten. So lauter ihre Absichten, so eisern halten sie an der westfälischen Staatsdoktrin fest: Pressesprecher Thomas Wolf-Hegebekemeier erklärt, keinem Touristen sei es wichtig, wo genau die Schlacht stattgefunden habe, daher könne man das Thema auch ausklammern. Natürlich ist das Unsinn. Touristen besuchen Schlachtfelder, Burgen, alte Städte, um am „authentischen Ort“ eines Geschehens zu stehen, um sich vorzustellen: Hier, genau hier, ist es gewesen. Irgendwas damit Zusammenhängendes wollen sie natürlich auch sehen, was aber Geld kostet – und das ist knapp. Doch gerade die Ortung woanders, der „Aufbau“ einer „neuen Schlacht“ an einem neuen, unvorbelasteten Ort, ermöglicht die Überwindung des alten „Hermannsschlacht“-Mythos. PHIL HILL