Das Moralgetöse

Halleluja, eine Bühnen-Kreuzigung: Madonna provoziert mal wieder die Kirche. Und die springt drauf an. Morgen spielt die Pop-Queen in Düsseldorf. Und Kirche und Behörden geben Obacht – oh Gott

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Zunächst ein paar verblüffende Sätze: Wir schreiben das Jahr 2006. Hunde haben vier Beine. Der Ball ist rund. Und Madonna hat die Kirche provoziert. Uff.

Als die amerikanische Kinderbuchautorin, die nebenbei auch singt, unlängst wieder eine Konzertbühne betrat, ließ sie sich an ein glitzerndes Kreuz drapieren, sang ihren Hit „Live to tell“ und wie erwartet liefen Kirchenoberhäupter und konservative Bedenkenträger dabei blutrot an. Bereits im Mai war das so, beim Auftakt der „Confessions“-Welttournee in Los Angeles. Und erst recht vor zwei Wochen im heiligen Rom, wo Kardinal Ersilio Tonini von einem „Akt offener Feindseligkeit“ sprach, sich in der Stadt des Papstes kreuzigen zu lassen. Dabei hatte Madonna Benedikt XVI. zur Kreuzigung eingeladen. Ohne Erfolg.

Am morgigen Sonntag nun gastiert Madonna in Düsseldorf, am Dienstag in Hannover. Wieder werden zehntausende Menschen da sein, wieder werden sie jubeln, quieken, in Ohnmacht fallen. Und wieder ist das Geschrei im Vorhinein groß. Einen verlässlichen Partner in Sachen Moralgetöse hat die katholische Kirche in der Bild-Zeitung gefunden. Die tönte in dieser Woche, die Staatsanwaltschaft Düsseldorf werde Madonna bei ihrem Konzert beobachten, um einer etwaigen Beschimpfung von Religionsgesellschaften nachzugehen. Stimmt auch. Von Konzert und Kreuzigung hat die Staatsanwaltschaft aber erst durch einen Anruf der Bild erfahren.

Auch bei der katholischen Kirche hat Bild angerufen. Es sei „besonders perfide, dass in einem christlichen Land in solcher Form christliche Symbole verunstaltet werden dürfen“, sagte der Sprecher des Erzbistums Köln, Manfred Becker-Huberti – und machte damit mehr PR für Madonna als für seinen Chef, den Herrgott. Dass die Kirche den Auftritt der Pop-Queen kritisiert, verwundert nicht. Nur – die Reaktion ist doch ziemlich aufgebracht. Obschon mittlerweile selbst der biederste Vorstadtpfarrer wissen müsste, dass Madonna in ihrer fast 25-jährigen Kariere a) immer wieder provoziert und b) immer wieder religiöse Verweise einfließen lässt.

Als kleine Gedankenstütze dient Mary Lamberts Video zu Madonnas „Like a Prayer“, das 1989 erschien. Darin tanzt die Künstlerin vor brennenden Kreuzen, wälzt sich spärlich von Stoff umleibt auf Kirchenbänken und küsst eine zum Leben erweckte Heiligenfigur. Auch damals geschah Madonna, was ihr am dienlichsten war: Der Vatikan war außer sich, Pepsi setzte einen Werbespot mit ihr ab, die Medienmaschine ratterte – kurzum: es lief wie geschmiert.

„Wenn jemand Mohammed in dieser Form darstellen würde, gäbe es einen Aufstand“, hat Kirchensprecher Becker-Huberti noch gesagt. Dass er sich beim morgigen Konzert Randale wünscht wie beim ebenso suspekten Getöse um die Mohammed-Karikaturen, weist er freilich von sich: „Ich wünsche keine Konflikte“, sagt Becker-Huberti. Lieber sähe er, wenn niemand das Konzert besuchen würde.

Wie die Staatsanwaltschaft. Die bleibt auch weg. Und will zur möglichen Strafverfolgung bloß Presse-Exegese betreiben. Was man als Indiz nehmen darf, dass es sich bei dieser Geschichte um eine PR-Blase handelt. Staatsanwalt Johannes Mocken glaubt ohnehin, dass Madonna von der Kunstfreiheit geschützt ist. Will er aber nicht drauf festgelegt werden. Und deutet es deshalb nur an. „Sonst macht‘s den Medien ja auch keinen Spaß mehr.“