„Selber Arschloch“

Er war einer der ersten deutschen Punks. Jetzt ist Peter Hein nahezu 50, deutlich ruhiger und immer noch Düsseldorfer. Obwohl in der alten Punk-Hochburg heute nicht mehr viel los ist. Sagt der Fehlfarben-Sänger – der einst früh zu Bett ging

INTERVIEW VONBORIS R. ROSENKRANZ

taz: Was sind Sie eigentlich seit ihrem Rausschmiss beim Kopiererhersteller Rank Xerox, Herr Hein? Arbeitsloser? Freier Künstler? Gelangweilt?

Peter Hein: Freier Künstler habe ich abgegeben. Und bin Vertragspartner der Bundesagentur geworden. Aber das werde ich auch nicht mehr lange sein.

Also Hartz IV.

Noch nich‘. Das müsste wohl danach kommen. Soll aber vermieden werden.

Na gut. Lassen Sie uns über NRW reden. Das Land wird 60 Jahre alt. Feiern Sie diese Party?

Solche Sachen mache ich eigentlich nie. NRW an sich war mir aber schon immer näher als Deutschland. Gut, als Bestandteil der BRD war es ja noch alles ganz nett. Also, dieses Produkt NRW, allein diese drei Buchstaben, die wir haben, im Gegensatz zu anderen Bundesländern. Das war immer schon besser und nicht sowas Blödes wie Bayern.

Kann man sich denn als Nordrhein-Westfale fühlen?

Nee, eben nicht. Aber es gehörte so beim Punkrocken dazu, dass man gelegentlich: ‚En-Er-Weh – is‘ okee‘ ruft. Ganz unmotiviert bei irgendwelchen Konzerten. Als Anfeuerung der Band. Das war eben völlig unbelastet von der finsteren Geschichte. Für uns war das so neu und aktuell. Das war das, wo wir alle herkommen. Also: Ruhrpott, Westfalen. Das gehört alles zusammen.

Zusammen? Sie haben mal gesagt, Sie lebten im Rheinland, aber nach den Grenzen von 1923. Also gehört das Ruhrgebiet noch dazu.

Genau. Das war diese Geschichte mit dem, ähm, was war das da: diese entmilitarisierte Zone, wo die Franzosen dann einmarschiert sind.

Weshalb hängen Sie an den alten Grenzen?

Relativ willkürlich. Einerseits ist es obskur. Andererseits (zögert) ich glaube, man kann Köln da ausschließen, ich bin mir nicht ganz sicher. (Lacht)

Kann man denn den Pott und das Rheinland zusammenwerfen? Das sind doch Welten.

So Welten sind das nich‘. Eigentlich sind wir doch alle nur Zugezogene, Zugewachsene.

Sie sind in Düsseldorf geboren.

Aber bei den wenigsten, die ich kenne, reicht die Verbindung mit der Stadt bis zu den Großeltern zurück. Ich bin da ziemlich typisch. Meine Eltern haben sich nach dem Krieg hier in Düsseldorf kennengelernt. Das geht bei vielen so.

Im Gegensatz zu vielen sind Sie in Düsseldorf geblieben. Lag es an Heimatverbundenheit?

Das lag vor allem an Trägheit. Ich hasse es ja schon, innerhalb der Stadt umzuziehen. Und es war auch so ein bisschen Trotz. Alle, die man kannte, sagten: Ich geh‘ nach Hamburg. Oder nach Berlin.

Heute zieht auch alles nach Berlin. Popkomm. Viva. Spex. Und Sie?

Ich kenne Berlin. Ich weiß, warum ich da nicht hin brauche.

Zu groß?

Flächig zu groß, ja. Aber im Prinzip ist es ja nicht zu groß. Ist genau so kiezig wie Hamburg. Aber: Was ist denn da so groß los? Was mich in den Achtzigerjahren immer genervt hat, wenn wir da gespielt haben, dass immer alles so furchtbar spät los ging. Wenn man hier in Düsseldorf nach Hause ging, haben die sich da gerade erst geschminkt. Und dann hings‘te da um fünf Uhr morgens völlig in den Seilen. Das kann ich nicht ab. Ab und zu mal irgendwo stranden und morgens erst nach Hause kommen, ist ja ganz lustig. Aber das Aufstehen fand ich sehr anstrengend.

Also war die Punk-Hochburg Düsseldorf gesitteter?

Was heißt gesitteter? Wenn man draußen war, war es nicht gesittet.

Aber man ging früher zu Bett?

Man ging auch früher los. Damals hatte es noch keinen Namen, heute heißt es ‚Afterwork‘. Muss ja alles einen Namen haben. Damals hat man einfach gemacht. Es gab es, aber es hieß nicht.

Inwieweit hat die Region den Punk beeinflusst. Diese Tristesse in den Texten. Das Städtische. Die Maschinen. Der Grauschleier. Speist sich diese Ästhetik aus der Region?

Ja, sicher. Klar. Mit dem Zug durchs Ruhrgebiet fahren. Oder über die Autobahn. Die Schwerindustrie. Klar hat das beeinflusst. Es kommt ja auch oft genug vor. Es werden ja auch Straßen erwähnt. Und Städtenamen.

Aber Düsseldorf hat doch heute...

...ja, is‘ ja nix mehr los hier. Eigentlich wie in Berlin. (Lacht)

Wirklich?

Weiß nicht. Ist mir auch ehrlich gesagt wurscht. Bin aus dem Alter raus, dass ich irgendwo bin, weil da was los ist. Kann mich auch auf dem Land erholen. Was ich früher nicht konnte.

Früher war Düsseldorf die Keimzelle. Hier ist eine Bewegung entstanden. Heute kommt deutschsprachige Musik aus anderen Städten.

Naja, aus den Dörfern kommen die ja meistens. Aus mittelgebirgigen Gegenden. In Düsseldorf gibt es nicht mehr so viele Läden, wo was passiert. Es gab mal so ein bisschen Zeug, was mich eigentlich auch gar nicht interessiert: so Hiphop, Gerappe und so. Bin ich aber bewusst nicht hingegangen. 1989/90 war die regionale Szene hier schon am Ende. Klar gibt‘s noch Bands. Aber nur Leute, die man kennt. Das ist so ne Inzucht. Und es kommen kaum Touren hier durch. Wenn sich unsereins ein Konzert ankucken will, kurz vor der Frühverentung, dann steht er im Haus der Jugend. Ich meine: Das ist doch ein Systemfehler. Und in die großen Halle gehs‘te vielleicht ein Mal im Jahr.

Und selbst auf der Bühne zu stehen? Lust dazu haben Sie auch nicht mehr.

Doch, schon.

Macht aber nicht den Eindruck. Eher gelangweilt.

Soll‘s nicht machen. Kommt aber vor. Ich weiß ja nicht, was erwartet wird.

Die Aggression von früher?

Was heißt die Aggression von früher? Aggressiv bin ich teilweise immer noch. Aber was hab ich davon, die Leute beim Konzert zu beschimpfen?

Keine Publikumsbeschimpfung. Sie haben gesungen: „Zum Kotzen, dass keiner mehr Bonn bombardiert.“ Bonn ist nicht mehr Regierungssitz. Also jetzt? Berlin bombardieren? Die Landeshauptstadt Düsseldorf?

Naja, wenn überhaupt – dann Berlin. Und die inhaltliche Aggression ist immer da gewesen. Und ist noch immer da.

Haben Sie Aggressionen gegen ein schwarz-gelbes NRW? Interessiert Sie, was Jürgen Rüttgers so verzapft?

Ehrlich gesagt, nicht. Aber der Steinkühler, nein, der Stein..., St... Herrgott, diese ganzen Steine.

Peer Steinbrück.

Ja, genau. Steinbrück hat mich auch nicht interessiert mit seinem komischen hanseatischen Langweilertum. Wo man sich eher aufregt ist unser schwarz gefärbter Oberbürgermeister. Das liegt näher als die Landesregierung.

Worüber regt man sich bei Joachim Erwin auf?

Von vorne bis hinten, was der so verzapft. Geht bei Fortuna los und hört bei Straßenordnungen auf. Man könnte jetzt Gerüchte in die Welt setzen. Seine Referentin... (zögert)

Was ist mit der Referentin?

Joah... gut, man will jetzt nicht justiziabel werden. Es könnten ja Persönlichkeitsrechte betroffen sein. Muss man heutzutage aufpassen.

Muss man heute generell aufpassen, was man sagt?

Anders als früher. Früher gab‘s auf die Schnauze, heute wirst du arm gemacht. Das ist wesentlich schlimmer. Wenn du eins auf die Fresse kriegst, verheilt das wieder in ein paar Wochen. Aber wenn du arm bist bis ans Ende deiner Tage...

Aber man weiß ja eh nicht, was Sie meinen. In Jürgen Teipels Interview-Roman „Verschwende deine Jugend“ sagen Sie zum Schluss über ihre Punk-Zeit: „Das war doch alles gar nicht so gemeint.“

Kann sein.

Wer dran geglaubt hat, sagt an dieser Stelle: Was soll das? Was für ein Arschloch, dieser Hein.

Selber Arschloch. Man darf halt nicht reinfallen. Wir sind auch drauf reingefallen. Auf die ganze Punkrock-Schose aus England, auf die Clash, die Pistols und so. Das gehört dazu. Die Show. Und das Reinfallen natürlich auch.