Wo Kunst in See sticht

An der belgischen Küste findet gerade die „Triennale für zeitgenössische Kunst am Meer“ statt. Der in diesem Jahr fertig gestellte Küstenradweg, der alle 14 Seebäder geschickt miteinander verbindet, bietet sich für einen Besuch hervorragend an

In zehn Badeorten zwischen De Panne im Westen und Knokke im Osten sind die Skulpturen zu sehen

VON CORNELIA GANITTA

Eine afrikanische Elefantenherde am Strand von de Panne. Keine Fata Morgana, sondern Teil der zweiten belgischen „Triennale für zeitgenössische Kunst am Meer“. Gemeinsam mit neun Holzfällern schuf der aus Südafrika stammende Künstler Andries Botha die Dickhäuter, die hier, in der Bettenhochburg nahe der französischen Grenze zum Publikumsmagneten avancieren. Die Elefanten fußen auf einem metallenen Skelett und sind mit einem Fell aus hölzernen Plättchen überzogen – eine typische Technik in Bothas Oeuvre. Sie symbolisiert, was intensive Arbeit erfordert: Kraft und Durchhaltevermögen.

Das brauchen auch die Elefanten. Denn an der Nordsee kann es schon mal stürmisch zugehen. Die „2006 Beaufort: Küste bringt Kunst“ macht es vor. Sie kommt mit Stärke 8 (= stürmischer Wind) daher. 30 internationale Künstler haben eigens für das nach Sir Francis Beaufort, dem Erfinder der Windstärkeskala, benannte Kunstereignis Installationen zum Thema Meer geschaffen. In zehn Badeorten zwischen De Panne im Westen und Knokke im Osten sind die Skulpturen zu sehen. So lässt Jane Alexander ein 38 Meter langes Schiff an der Küste in Oostduinkerke stranden. Ein hybrides Fabelwesen mit langen Hörnern und Gummistiefeln erwartet den Besucher am Eingang. Es ist der Vorbote auf eine düstere Installation mit Macheten, Sicheln und 500 Paar Handschuhen, die auf die gewalttätige Geschichte der Apartheid verweisen.

In den Ruinen der ehemaligen Abtei Ten Duinen hat der italienische Bildhauer Mimmo Paladino im wahrsten Wortsinn 33 zerbrechliche Terracotta-Figuren in gekrümmter Fötus-Haltung flach gelegt. „I Dormienti“, die Schlafenden, heißt sein Werk, das hervorragend in die archäologische Umgebung eingebettet ist. Der Ort ist greifbar gewordene Stille, der nur hier und da von sakraler Musik durchbrochen wird.

Überhaupt mutet dieser zweiten Beaufort etwas Sakrales an. Erstmals sind die Kirchen der einzelnen Touristenorte mit einbezogen. Hier wird die Malerroute präsentiert mit Werken, die inhaltlich mit dem Ort ihrer Ausstellung verknüpft sind. Meistens jedenfalls. Denn das von der Düsseldorfer Künstlerin Kati Heck für die Sint Theresiakerk in Bredene entworfene Gemälde „Danke für die verlorene Zeit“ hat die Verflachung der Gesellschaft zum Thema. Die acht aneinandergereihten, tanzenden Figuren repräsentieren mit ihrer törichten Mimik den Tod von Reflexion und Kreativität.

Die zehn Meter lange Betonskulptur des Niederländers Tom Claasen ähnelt einer überdimensionierten Sandkuchenform. Sein Mann mit losen Gliedmaßen liegt in Westende vor dem denkmalgeschützten Grand Hotel Bellevue, einem geradezu wohltuenden Relikt aus der Belle Époque. Ein paar Kilometer weiter bestückt der Tscheche David Cerny das Casino-Dach und die Strandpromenade von Middelkerke mit seinen gesichtslosen Riesenbabys, die er vor Jahren bereits im tschechischen Žižkov auf den Sendemast des Staatsfernsehens klettern ließ. Da wo sie einst Störenfriede der öffentlichen Ordnung waren, bilden sie hier ein friedvolles Ensemble in der Ferienidylle.

Das alles lässt sich prima mit dem Fahrrad „erradeln“. Der in diesem Jahr fertig gestellte Küstenradweg, der alle 14 Seebäder geschickt miteinander verbindet, bringt es auf ganze 86 Kilometer. Der Kunstparcours ist in den Führern relativ gut beschildert, die dargestellte Kunst vor Ort sowieso. So leuchtet auch dem größten Kulturbanausen ein, was das gezeigte Objekt eigentlich demonstrieren will. Sollte man mal keine Lust aufs Radeln haben, kann man auch „De Lijn“ benutzen, eine Küstentram, die im 10- oder 20-Minuten-Takt die einzelnen Attraktionen anfährt.

Selbst bei schlechtem Wetter muss man der Kunst nicht trotzen. Parallel zur Außenkunst lässt Beaufort Inside im PMMK, dem Museum für Moderne Kunst in Oostende, ergänzende Arbeiten der beteiligten Künstler in Dialog treten mit René Magrittes surrealem Werk. Unter anderem ist hier „Shark“, eine weitere Skulptur des Baby-Provokateurs David Cerny, zu sehen. Sein ursprünglich für Beaufort Outside vorgesehenes Werk wurde kurzerhand in den PMMK-Keller verbannt, nachdem die an Saddam Hussein angelehnte Figur – die, an den Händen gefesselt, wie ein Hai im Wasser schwimmt – dem öffentlichen Ärger nicht mehr standhielt. Zu sehr fühlte man sich wohl an den Karikaturenstreit erinnert. Auch der deutsche Künstler Stephan Balkenhol, ist Inside wie Outside vertreten. Im PMMK kann man unter anderem die Werke „Große Figur“ und „Großer Kopf“ bewundern, während draußen, am Pier von Blankenberge, sein Boot ruht, das durch zwei Reliefs mit menschlichen Abbildern eine tiefere Bedeutung erhält. In wiederholten Skizzen schließlich ist das Spinnenmotiv der New Yorker Künstlerin Louise Bourgeois im PMMK bildlich dargestellt.

Draußen dagegen, auf einem Friedhof nahe Oostende, wacht die echte „Maman“, das neun Meter hohe, schwangere Muttertier als „eine Ode an meine Mutter“ (so die Künstlerin) über dem Grab des wohl bekanntesten Malers der Region, James Ensor.

Die Symbiose aus Kunst und Tourismus scheint aufzugehen. Vor drei Jahren bereits lockten Open-Air-Installationen rund 600.000 Kunstinteressierte und neugierige Touristen an die flämische Küste und bescherten der Region einen Umsatz im zweistelligen Millionen-Bereich. Dass dieser Rekord bei der Beaufort 2006 noch geknackt wird, ist – nicht nur aufgrund des bislang heißen Sommers – anzunehmen.