ABENTEUER NAHVERKEHR
: Willkür im Bus

Der Mann trug eine Aktentasche und sah wirklich wichtig aus

Wenn ich im Bus sitze und ein Schulkind sehe, das mit höchstmöglicher Aufmerksamkeit den Durchsagen lauscht, um bloß nicht seine Haltestelle zu verpassen, erinnert mich das an meine erste Busfahrt. Ich hatte mir meine Haltestelle gründlich eingeprägt, und als sie ausgerufen wurde, stand ich auf.

An der Haltestelle warteten zwei Frauen, und der Bus hielt. In der Erwartung, die hintere Tür hätte einen Druckknopf, wie auch S-Bahn-Türen einen haben, versuchte ich, sie zu öffnen, allerdings vergeblich, einen solchen Knopf gab es nicht. Mit wachsender Verzweiflung schaute ich zum Busfahrer, aber der schenkte dem hilflosen Kind, das da versuchte, seinem Bus zu entkommen, keine Beachtung.

Bevor ich einen Mitfahrenden fragen konnte, fuhr der Bus weiter und passierte die Grenze nach Berlin. Mit wachsender Verzweiflung sah ich mich um, ob mir denn niemand zu Hilfe käme, aber keiner der anderen Fahrgäste kümmerte sich um mich. Bei der nächsten Haltestelle hielt der Bus überhaupt nicht mehr, und ich begann mich ernsthaft zu fragen, ob der Fahrer sich einen Spaß daraus machte, willkürlich an irgendwelchen Haltestellen anzuhalten und ganz sporadisch auch mal Leute rein- oder rauszulassen.

Genau drei Stationen später beobachtete ich, wie ein Mann den roten Knopf mit der Aufschrift „Stop“, der als Notbremse diente, betätigte. Ich hatte immer gedacht, man würde dafür belangt, wenn man grundlos die Notbremse benutzte, aber der Mann trug einen schwarzen Anzug und eine Aktentasche und sah wirklich wichtig aus. Wahrscheinlich traute sich der Busfahrer einfach nur nicht, ihn darauf anzusprechen. Ich stieg trotzdem mit aus.

Dann überlegte ich, ob ich nach Hause laufen oder mit dem Bus fahren und es wagen sollte, ebenfalls die Notbremse zu betätigen. Ich entschied mich für Letzteres. YANN T. SCHMIDT