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: Chinas Helfer der Unterdrückten

Gao Zhisheng wusste seit langem, dass er in Gefahr ist: Ohne verfolgt zu werden, konnte er kaum noch aus dem Haus gehen. Manchmal standen 30 Leute vor der Tür. Sie zischelten ihm Drohungen zu, fragten ihn mit bösem Lächeln nach der Gesundheit seiner Frau oder seiner 13-jährigen Tochter. Die, so berichtete Gao kürzlich, wurde ebenfalls auf dem Weg zur Schule beschattet, von vier Geheimpolizisten.

Manchmal hinderten die Leute von der Staatssicherheit ihn auch, seine Pekinger Wohnung zu verlassen. Anfang dieses Jahres wurde er in seinem Auto angefahren – kein Unfall, wie Gao felsenfest überzeugt ist. Jetzt ist der 42-Jährige, einer der bekanntesten Bürgerrechtsanwälten Chinas, verhaftet worden. In dürren Worten verkündete gestern die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua: Das Büro für öffentliche Sicherheit der Stadt Peking habe Gao „zum Verhör über seine mutmaßliche Verwicklung in kriminelle Aktivitäten festgenommen“. Gao war bei seiner Schwester in der ostchinesischen Provinz Shandong, als Polizisten am Dienstag in die Wohnung stürmten und ihn mitnahmen, berichtet ein Freund.

Die Festnahme kommt zu einer Zeit, in der Chinas Behörden besonders empfindlich auf Kritik reagieren. Das erlebt derzeit in derselben Provinz ein ebenso mutiger junger Mann, der 34-jährige blinde Chen Guangchen. Seit Chen sich im letzten Jahr an die Regierung in Peking wandte, um gegen illegale Zwangsabtreibungen und Sterilisierungen in Shandong zu protestieren, rächen sich die örtlichen Behörden. Seit März sitzt er in Haft. Ihm wird vorgeworfen, die „öffentliche Ordnung gestört“ zu haben. Pekinger Juristen, die ihm helfen wollten, wurden zusammengeschlagen, als sie sich seinem Wohnort näherten. Drei seiner Verteidiger wurden verhaftet, als sie zum Prozess anreisten, zwei kamen gestern wieder frei. Auch Anwalt Gao setzte sich für Chen ein.

In großer Armut in Urumqi, der Hauptstadt der muslimischen Region Xinjiang, aufgewachsen, hatte der gläubige Protestant Gao nach Militärdienst und einem Jura-Selbststudium die Anwaltsprüfung bestanden. In den vergangenen Jahren beriet er häufig unentgeltlich Bauern, die gegen ungenügende Entschädigung für ihr beschlagnahmtes Land protestierten, oder Arbeiter, die ihre Firma wegen ungezahlter Löhne oder Berufskrankheiten wie Silikose verklagten. Einmal versuchte ihn ein Unternehmen zu bestechen – mit 6 Millionen Yuan, die ihn und seine Familie auf ewig saniert hätten. Gao lehnte ab. Die Pekinger Anwaltskammer entzog ihm im November seine Lizenz für ein Jahr. Nun braucht er selbst einen Verteidiger. JUTTA LIETSCH