Alkoholkranke sollen auf Urin und Haare geprüft werden

TRANSPLANTATION Bundesärztekammer will Regeln für die Vergabe von Spenderlebern erneut verschärfen

BERLIN taz | Als Reaktion auf die bundesweiten Organvergabeskandale will die Bundesärztekammer ihre Politik gegenüber alkoholkranken Patienten verschärfen: Beim Zugang zu lebensrettender medizinischer Versorgung sollen Menschen mit alkoholbedingter Leber-Zirrhose „für mindestens sechs Monate völlige Alkoholabstinenz einhalten“, bevor sie auf die Warteliste für ein Spenderorgan aufgenommen werden dürfen. Das galt bereits bisher. Jedoch: Nachgewiesen werden soll die Abstinenz nicht mehr im Arzt-Patienten-Gespräch, sondern nun auch durch „Laborparameter zur Beurteilung des Alkoholkonsums“. Konkret: durch Untersuchungen von Urin und Haaren, und zwar „bei jeder ambulanten Vorstellung des Patienten“.

Test wie beim Führerschein

Das geht aus dem Entwurf für eine geänderte „Richtlinie für die Wartelistenführung zur Lebertransplantation“ hervor, die die „Ständige Kommission Organtransplantation“ (StäKO) der Bundesärztekammer in erster Lesung verabschiedet hat. Ihr Vorsitzender Hans Lilie verteidigte das Vorgehen gegenüber der taz: „Es ist eine Standarduntersuchung wie beim Führerschein.“ Die absolute Karenz soll zudem künftig erstmals auch für Patienten gelten, bei denen der Alkohol nur ein Nebenfaktor einer anderen Lebererkrankung ist, etwa bei Krebs.

Gegen die Richtlinienpolitik der Ärztekammer zu Alkoholkranken gibt es seit Jahren verfassungsrechtliche Bedenken, weil so eine ganze Patientengruppe von medizinischer Versorgung faktisch ausgeschlossen wird. „Die Bundesärztekammer verfolgt weiterhin die Politik, lebensunwertes Leben zu definieren, das nicht gerettet werden dürfe“, sagte der Münsteraner Juraprofessor Thomas Gutmann der taz. Über Sinn und Unsinn der sechsmonatigen Karenz ist die Wissenschaft gespalten. Bislang fehlen etwa Nachweise, dass Patienten nach nur drei Monaten nicht von der Transplantation profitieren würden. Das geben sogar die Verfasser der Richtlinie zu: „Eine systematische prospektive Evaluation der 6-monatigen Karenzzeit ist nicht berichtet.“

Auch geht der Entwurf an keiner Stelle darauf ein, wie mit Patienten umgegangen werden soll, deren Gesundheitszustand so kritisch ist, dass sie das Ende der geforderten sechsmonatigen Karenz womöglich gar nicht erleben. Der StäKO-Chef empfiehlt, solche Fälle individuell „von interdisziplinären Transplantationskonferenzen“ entscheiden zu lassen. Die Richtlinie lässt diese Möglichkeit indes gerade nicht zu. Bis Ende März, so Lilie, würden Stellungnahmen entgegengenommen. Dann werde die StäKO die Richtlinie beschließen und dem Gesundheitsministerium zur Genehmigung vorlegen. HEIKE HAARHOFF