Alleen zu Auto- bahnen

SOTSCHI Die Spiele in Russland sind vorbei. Es bleibt der Personenkult um einen überlebens- großen Präsidenten

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Es wird Schnee liegen. Es wird keinen Stau geben. 12 Milliarden Dollar. Ganz Russland steht hinter den Spielen. Mit diesen Sätzen hat Wladimir Putin in Guatemala-Stadt die Spiele nach Sotschi geholt. Das Internationale Olympische Komitee fand toll, was er gesagt hat. Er bekam die Spiele. Kurz bevor sie schließen, wird im Medienzentrum von Adler noch einmal die Rede an die Videowand geworfen. Der Führer des Landes spricht noch einmal. Überlebensgroß. Die Botschaft: Putin hat seine Versprechen gehalten. Personenkult.

Hiermit erkläre ich die 22. Olympischen Winterspiele für eröffnet. Der Tag nach der Eröffnungsfeier gehört dem Präsidenten. Die Nachrichten im ersten Programm zeigen Putin mit Janukowitsch, mit Erdogan, mit Japans Premier Abe. Weißrusslands Präsident Lukaschenko bringt wie immer seinen Buben mit. Händeschütteln, ernste Minen und einmal sogar so etwas wie Lächeln. Putin, der Weltpolitiker. Themawechsel in den Nachrichten. Putin verleiht verdienten Wissenschaftlern Orden. Gibt es da nicht mehr zu sagen?

Große Siege, große Enttäuschungen. Russen feuern Russen an. Keine Pfiffe für die Gegner. Oft wird großer Sport geboten. Zwei Frauen rasen fast zwei Minuten bergab und fahren auf die Hundertstelsekunde genau dieselbe Zeit. Geteilter Sieg, doppelte Freude. Als Dominique Gisin und Tina Maze vom Treppchen zur Tribüne winken, ist die fast leer. Was soll man auch hier oben. Keine Hütte, kein Lokal, nur die Bergstation einer schnellen Kabinenbahn. Nichts außer Pisten und Lifte. Ski heil! Warum hier? Schon 2001 oder 2002 bin ich mit meinem Jeep zu dieser Stelle gefahren und habe gesagt: Lasst uns hier beginnen! Putin sagt in einer TV-Dokumentation, dass er es war, der den Ort für die alpinen Wettbewerbe ausgesucht hat. Wer glaubt ihm das?

Putin lehrt dich, die Heimat zu lieben. Pussy Riot mischt die Olympiastadt auf. Dreimal werden sie festgenommen. Ein Mann in Kosakenuniform schlägt mit einer Peitsche nach den Aktivistinnen. Das Musikvideo, das die Punkband in Sotschi aufnimmt, zeigt Bilder davon. War was? Hat nichts mit Olympia zu tun, meint das IOC. Deren Sprecher sitzt neben Dmitri Kosak, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, auf dem Podium. Unten sitzen die Journalisten. Die Frauen sind gekommen, um zu provozieren, und Einheimische haben sich provozieren lassen, sagt Kosak. Waren die Kosaken aus Krasnodar nicht als Verstärkung der Securityarmee nach Sotschi geholt worden? Und die Korjruption, die Pussy Riot anprangern? Gäbe es die, dann wäre das verfolgt worden, das hat auch der Präsident klargemacht, sagt Kosak.

Der Taxifahrer kennt sich nicht mehr aus. Früher musste man nur geradeaus fahren. Er wählt die falsche Spur. Putins neue Straßen, sagt er. Brücken, Viadukte, Unterführungen. Aus Alleen sind Autobahnen geworden. Jetzt weiß der Taxler wieder, wo er ist. Wir müssten links abbiegen. Geht nicht. Was hat Putin da gebaut, fragt sich der Chauffeur. Und die Zerstörung der Natur? Der Kaukasus ist groß. Und außerdem haben wir doch Abchasien. Schön. Die Strände, die Berge, die Mandarinen. Hat Putin uns zurückgeholt, sagt einer.

Im Pressezentrum sitzt ein georgischer Journalist. Auf seiner Jacke steht groß Georgien und Suchumi. Das ist Abchasiens Hauptstadt. Für den Kollegen gehört die Minirepublik, die kaum ein Land anerkennen will, immer noch zu Georgien. Der Mann wird belächelt. Kein Gegner für Putin. Fünf schwarz gekleidete Wachleute. Finstere Gestalten. Am Eingang zum Hotel werden vor allem die Mitarbeiter, Lieferanten und Putzfrauen drangsaliert. Olympiatouristen aus dem Westen müssen sich nicht ausweisen. Auf der Straße vor dem Hotel patrouillieren uniformierte Polizisten. Was sind das für Typen am Strand? Alle 20 Meter stehen zwei Männer zusammen und tun so, als würden sie sich unterhalten. Aus dem Knopf, den sie im Ohr haben, führt ein Kabel unter ihre Lederjacke. Umdrehen! Wer Zug fahren will, wird durch eine Sicherheitsschleuse geschickt und muss sich abtasten lassen. Auf den Bergen steht das Militär. Dmitri Kosak ist stolz darauf. Hier könne niemand gegen ein Gesetz verstoßen. Das ist es, was Olympia macht, sagt Pussy Riot. Wer interessiert sich schon für diese Mädchen, fragt Kosak. Bei Olympia ist er Putins Chefhandlanger, ein Mann des neuen Russlands. Hat keiner Angst vor dem?

Der Präsident ist sehr vielseitig interessiert, besonders am Sport, aber auch an der Kultur. Er spricht exzellentes Deutsch. Thomas Bach ist begeistert von Putin. Der Bild sagt der IOC-Präsident, dass er schnell einen Termin bekommt, wenn er mit Russlands Staatschef reden will. Bach war begeistert von den Spielen. Die Sportler sollen im Mittelpunkt stehen, sagt der IOC-Präsident immer wieder, doch da steht bereits ein anderer.