NRW führt Atomlobby an

Die Landesenergieministerin fordert im Namen der unionsgeführten Länder eine Verlängerung der Laufzeiten von deutschen Kernkraftwerken. Dass die Mehrheit der Bevölkerung das ablehnt, interessiert die CDU nicht

VON MATTHIAS HENDORF
UND NATALIE WIESMANN

Die nordrhein-westfälische Energieministerin Christa Thoben (CDU) stellt sich an die Spitze der Pro-Atom-Bewegung. Unter ihrer Federführung fordern neun unionsgeführte Länder in einem internen Schreiben den Ausstieg aus dem Atomausstieg, „da sich die energiepolitischen Rahmenbedingungen seit der Vereinbarung im Jahre 2000 deutlich verändert haben“. Aus dem Papier zitiert der Focus in seiner heutigen Ausgabe.

Als Gründe für längere Laufzeiten nennen die Länder den verschärften internationalen Wettbewerb um Öl und Erdgas sowie die Energiegewinnung durch die von Windparks auf dem Meer erzeugte „Offshore-Strategie“ der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung, die sich als „überzogen optimistisch“ erwiesen habe.

Die im Atomgesetz festgelegten Betriebszeiten von Kraftwerken seien weder technisch noch wissenschaftlich begründbar, so Thoben und Co. „Kurzfristig muss eine Verständigung angestrebt werden, mit der die Abschaltung von Kernkraftwerken in den nächsten Jahren vermieden wird.“ Mit dieser Position wollen die neun Länder laut Focus in die Verhandlungen zu einem nationalen Energiekonzept gehen, das bis Mitte nächsten Jahres erstellt werden soll.

Der energiepolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Reiner Priggen, kritisiert den Vorstoß von Thoben: „Die Ministerin macht sich zum Büttel der großen Stromkonzerne.“ Anders könne er sich die Federführung der NRW-Landesregierung bei dem Papier nicht erklären. Nur die Energieriesen E.on, RWE und EnBW profitierten von einer Verlängerung der Laufzeiten. „In NRW läuft kein einziges Atomkraftwerk mehr.“

Genau deshalb handle NRW nicht aus Eigeninteresse, sagt Thobens Sprecher Joachim Neuser. Seine Ministerin habe im Namen der unionsgeführten Länder die Führungsrolle übernommen, „weil NRW nun mal das Energieland Nummer eins ist“.

Mit ihrem Vorstoß agiert die Union gegen den Willen der Bevölkerung: Die Mehrheit befürwortet ein Abschalten der Atomreaktoren. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa sind zwei Drittel der Deutschen für die Einhaltung des 2000 mit der Industrie vereinbarten Ausstiegs. Auch unter den CDU/CSU-Anhängern sind mehr als die Hälfte gegen eine Verlängerung von Laufzeiten über das Jahr 2021 hinaus. 35 Prozent der Christdemokraten wollen, dass der rot-grüne Zeitplan eingehalten wird. Und 18 Prozent, fast ein Fünftel der CDU-Anhänger, sind sogar dafür, den Ausstieg zu beschleunigen.

CDU-Kreisverbände in NRW bestreiten jedoch die Relevanz solcher Studien. „Umfragen, die in die eine oder andere Richtung gehen, dürfen die tägliche Politik nicht bestimmen“, sagt Wolfgang Meckelburg, Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Gelsenkirchen. „Man macht die Politik, die man für richtig hält“, sagt auch der CDU-Politiker Harro Mies vom Kreisverband Aachen. Die könne im Einzelfall von der Meinung der Bürger abweichen.