Böse Omas im Marschland

Lieber ein toter Enkel als der evolutionäre GAU: Nach dieser Devise piesackten Großmütter in der ostfriesischen Krummhörn ihre schwangeren Schwiegertöchter nach Kräften. Der Soziobiologe Eckart Voland ist ihnen in den Kirchenbüchern aus dem 18. und 19. Jahrhundert auf die Schliche gekommen. Ein Gespräch

Interview: Annedore Beelte

„Mann’s Moo’r is de Düvel over de Floo’r“ – Die Mutter des Mannes ist der Teufel im Haus, sagte man in der Krummhörn, der ostfriesischen Küstenmarsch nordwestlich von Emden. Stimmt, sagt der Gießener Evolutionsbiologe Eckart Voland, derzeit Fellow am Hanse Wissenschaftskolleg in Delmenhorst.

Anhand von Kirchenbüchern aus dem 18. und 19. Jahrhundert hat er festgestellt: Lebte die Großmutter väterlicherseits im gleichen Dorf, dann erhöhte sich das Sterberisiko der neu geborenen Enkel um 150 Prozent. Auch das Risiko einer Totgeburt stieg um immerhin 35 Prozent. Voland führt das auf den Terror der Schwiegermutter zurück, der die schwangere junge Bäuerin schlauchte.

taz: Herr Voland, was finden Biologen so faszinierend an Großmüttern?

Eckart Voland: Die zweite Lebenshälfte von Frauen stellt ein Theorieproblem dar. Wir erwarten, dass die Evolution alle Organismen darauf eingerichtet hat, sich fortzupflanzen. Fast alle Lebewesen tun das auch bis zu ihrem Tod. Frauen hingegen leben unter günstigen Bedingungen nach der Menopause noch einmal so lange wie vorher. Wie kann das sein?

Ihre Antwort darauf ist die Funktion der Großmutter in der Evolution: Während die Oma mütterlicherseits liebevoll ihre Enkel pflegt und die Säuglingssterblichkeit verringern hilft, funktioniert die Großmutter väterlicherseits als eine Art „Rauchmelder“ gegenüber dem eventuellen Fehlverhalten ihrer Schwiegertochter. Wie muss man sich das vorstellen?

Die Großeltern haben nicht unbedingt ein Interesse an Harmonie. Die Großmutter hat das evolutionäre Interesse, dass ihre Investition in die Familie effizient ist: Es sollen natürlich die eigenen Enkel sein, die davon profitieren. Jetzt können sich die Großmütter nicht wirklich sicher sein, ob das wirklich die eigenen Enkel sind, die die Frau zur Welt gebracht hat. Daraus erwächst ein Misstrauen. Welche Anzeichen gibt es, dass die Schwiegertochter sich der Familie gegenüber nicht loyal verhält? Dass sie liberale Gedanken hegt? Wäre der Rauchmelder nicht sensibel genug, wäre das der evolutionäre GAU.

Ist das die Erklärung dafür, warum Frauen nachgesagt wird, sie seien nicht solidarisch untereinander?

Gerade Frauen, die selbst eine ungeliebte Schwiegertochter waren, vollführen einen Rollenwechsel, wenn sie selbst Schwiegermutter sind: Sie kontrollieren, mischen sich ein, sind dominant. Solidarität ist konditional. Je nachdem, wie die Gewinnsituation aussieht, bin ich solidarisch oder nicht. Das hat nichts Geschlechtsspezifisches.

Warum haben Sie sich die Krummhörn als Forschungsfeld ausgesucht?

In der Marsch nordwestlich von Emden hat es eine besondere Kulturentwicklung gegeben. Es ist eine fruchtbare Region, die früh Überschüsse produziert hat. Die Bauern spekulierten, handelten wie moderne Unternehmer. Sie haben nicht so wie anderswo an ihrer Scholle geklebt. Die Orientierung auf sozialen Erfolg hängt mit dem calvinistischen Glauben zusammen. Ein Calvinist ist streng zu sich selbst. Außerdem kam man von der Krummhörn nicht ohne Weiteres weg. Die großen Moore waren nur schwer zu überwinden. Es gab keine brachliegenden Ländereien, die besiedelt werden konnten. In der Sprache der Biologie formuliert: Alle Brutplätze waren besetzt.

Sind ostfriesische Großmütter vielleicht besonders fies?

Wir haben vor einigen Jahren alle uns bekannten Großmutterforscher der Welt in Delmenhorst zusammengeführt. Bei den Hadzabe in Tansania, den Japanern der frühen Neuzeit, den französischen Emigranten in Kanada: Überall gibt es einen Unterschied zwischen Großmüttern väterlicherseits und mütterlicherseits. Nur scheint der Schwiegermutter-Einfluss in der Krummhörn am verheerendsten zu sein. Am geringsten war er in der Studie aus Quebec.

Liegt es an der Weite des Landes?

Nicht nur. Unter den Immigranten gab es einen latenten Männerüberschuss. Die Schwiegermütter konnten es sich nicht leisten, die Schwiegertöchter so an die Kandarre zu nehmen wie in der Enge der Marsch. Ohne zynisch sein zu wollen: Eine ostfriesische Schwiegertochter war zu ersetzen. Wenn sie starb, war eine zweite Frau gerne bereit, ihren Platz einzunehmen.

Sie sagen, die Überwachung die Schwiegertochter war evolutionär sinnvoll – legitimieren Sie da nicht die rigiden Moralvorstellungen?

Legitimiert der Erdbebenforscher das Erdbeben? Wir wollen verstehen, was vor sich geht. Wir legitimieren gar nichts. Die ersten Reaktionen auf die Soziobiologie waren: Ihr seid Sexisten, Rassisten, fremdenfeindlich … Als ich meine ersten Vorlesungen gehalten habe, musste ich erst mal den Nachweis erbringen, dass ich kein Nazi bin.

Aber ganz abwegig ist es ja nicht, dass Sie der Patriarchatskritik den Wind aus den Segeln nehmen. Nach Ihrer Theorie haben Frau und Mann so unterschiedliche Interessen, dass sie eigentlich keine Freunde sein können, oder?

Ja, das kann man schon sagen. Was man als Freundschaft beobachtet, sind Kompromisse. Die Evolution verstärkt Tendenzen, andere im eigenen Interesse zu beherrschen: Mal beuten Männer Frauen aus, mal umgekehrt. Das ganze Spektrum von Verhaltensweisen ist in jeder Person drin – vom wilden Gorilla bis zum Softie. Was an Verhalten produziert wird, ist in der gegebenen Situation vorteilhaft, um dem eigenen genetischen Interessen zu dienen.

Aber die Annahme, wir Soziobiologen seien arg konservativ und patriarchalisch, ist ein ganz fundamentales Missverständnis, unter dem wir massiv leiden. Manche Kollegen könnten feministischer nicht sein.

Was ist eigentlich mit den Großvätern?

Von den Großvätern geht kein direkter Einfluss auf das Wohlbefinden der Enkel aus. Eine andere Studie zeigt, dass ihre segensreiche Wirkung darin besteht, die Großmütter bei Laune zu halten.