Angst ist kein guter Ratgeber
Immer schlaflos in Manhattan

TERROR Seit dem 11. September 2001 lebt die Welt in Furcht vor Anschlägen. Wirklich? Vier taz-KorrespondentInnen berichten

■ Am 11. September 2001 entführten Terroristen der Gruppe al-Qaida vier Flugzeuge. Zwei lenkten sie in die Türme des World Trade Center in New York, ein drittes in den Pentagon bei Washington D.C. Das vierte stürzte ab. Bei den Anschlägen starben mindestens 3.000 Menschen. Daraufhin erklärte der damalige Präsident der USA, George W. Bush, den „Krieg gegen den Terror“ und griff erst Afghanistan und dann den Irak an.

■ Am 11. März 2004 explodierten in zehn Madrider Zügen Bomben. Dabei starben 191 Menschen. Als Täter wurden dschihadistische Terroristen ermittelt.

■ Am 7. Juli 2005 explodierten vier Bomben in drei Londoner U-Bahnen und einem Bus. 56 Menschen starben, darunter auch die vier Selbstmordattentäter.

■ Seit Ende des Irakkrieges 2003 hat es in Bagdad tausende Bombenanschläge gegeben.

Nie wieder Manhattan“, sagten in den Wochen und Monaten nach den Attentaten viele New Yorker. Sie hatten Angst. Vor der Subway, vor den Brücken über den East River und vor den Fähren nach Staten Island und New Jersey.

Neun Jahre danach bleibt Amerika überzeugt, dass neue Anschläge in den USA jederzeit möglich sind. Jeder neue Bombenfund – in einem Auto am Times Square oder in der Unterwäsche eines Flugzeugpassagiers – stärkt dieses Gefühl. Doch zugleich ist es möglich, viele Tage in Gesellschaft von New Yorkern zu verbringen, ohne ein einziges Mal über die Twin Towers zu reden. Und wenn eine ausländische Reporterin das Gespräch auf „nine-eleven“ lenkt, kann es vorkommen, dass sie als Antwort Liebesgeschichten hört, die am Tag der Attentate begonnen haben oder endeten. Oder dass ihr Gegenüber davon erzählt, wie er zugleich mit „nine-eleven“ entdeckt hat, dass es außerhalb des Universums von New York eine große, weite Welt gibt.

Unterdessen ist Ground Zero ein Anziehungspunkt für Touristen geworden – auch dort sorgt die ortsübliche Schnelllebigkeit für Veränderung. Zuletzt ist das Cordoba House mit seiner Moschee ein neuer Pilgerort geworden. Fernab der großen Narbe verändern andere Dinge das Land: zwei Kriege, die nicht zu Ende sind. Tausende von Grenzschützern, die eine Wüste kontrollieren. Ein Ministerium für „Heimatsicherheit“. Sowie Screenings und Fingerabdrücke beim Empfang von Neuankömmlingen in Amerika. Dorothea Hahn

Business as usual in London

An die Durchsagen gewöhnt man sich: Wer seine Tasche unbeaufsichtigt herumstehen lasse, müsse damit rechnen, dass sie entfernt und möglicherweise zerstört werde, schallt es aus den Lautsprechern auf den Londoner U-Bahnhöfen. Auf den Londoner Flughäfen hängen Plakate, auf denen die Bevölkerung zur Bespitzelung der Nachbarn aufgefordert werden. „Verlass dich nicht auf andere – wenn du etwas Verdächtiges bemerkst, melde es“, steht darauf.

Die Londoner kümmert es wenig. Der Alltag, der nach den Anschlägen vorübergehend erschüttert war, ist längst zurückgekehrt, U-Bahnen und Busse sind zur Rushhour so überfüllt wie immer. Was sollen die Leute auch machen? Wer in der 7,5-Millionenstadt lebt oder arbeitet, kommt ohne „Tube“ oder Bus nicht voran. Und wer ständig mit der Angst vor Anschlägen lebt, wird irgendwann krank.

Politikern und Sicherheitsexperten passt diese Sorglosigkeit nicht, sie warnen regelmäßig vor der Terrorgefahr. Der ehemalige Antiterrorchef der Londoner Polizei, Andy Hayman, sagte im Juli, die Frage sei nicht, ob es einen weiteren Anschlag geben werde, sondern wann. Eine Boulevardzeitung berichtete, dass die Antiterrorpolizei nun sogar Vierjährige im Visier habe, weil sie befürchtet, dass sie von den Eltern indoktriniert werden könnten. Kindergärtnerinnen sollen auf Warnzeichen achten, zitiert das Blatt einen Polizisten: Wenn die Kleinen Bomben malen oder Sätze wie „Alle Christen sind schlecht“ äußern, sei das sofort zu melden. RALF SOTSCHECK

Eher entspannt in Madrid

Um welche Uhrzeit auch immer, die Gedenkstätte am Madrider Bahnhof für die Anschläge auf die Pendlerzüge am 11. März 2004 ist immer gut besucht. Schweigend gehen die Menschen an den Namen der 191 Todesopfer vorbei und betrachten die transparente Kuppel, in der Sätze zu lesen sind, die Trauernde nach den islamistischen Anschlägen vor dem Eingang des Gebäudes im Zentrum Madrids hinterlassen hatten. Die Gedenkstätte ist ein Ort der Besinnung, während sich draußen ein nicht enden wollender Menschenstrom zur Arbeit oder zurück in die Vororte bewegt.

Im Alltagsleben ist Spaniens Hauptstadt der Horror von vor sechs Jahren kaum mehr anzumerken. Längst sind nur noch private Wachmänner auf den Bahnsteigen unterwegs. Polizei oder gar Armee, wie in den Tagen nach den Bomben, gibt es auf Spaniens Bahnhöfen nicht mehr. Nur eines ist nach dem 11. März geblieben. Wer der Bahn fotografiert, bekommt es schnell mit den Wachmännern zu tun. „Verboten“, rufen sie ohne Begründung. Das Gleiche gilt für die bei Touristen beliebte Hauptpost an der Madrider Plaza de Cibeles.

Den ängstlichen Blicken, die in den Monaten nach den Anschlägen arabisch aussehenden Immigranten mit großen Gepäckstücken galten, sind wieder der Langeweile und Gleichgültigkeit gewichen. Ein schlecht geparktes Auto mit Nummernschild aus dem Baskenland erregt mehr Aufsehen als ein Bärtiger mit Rucksack. Denn trotz des 11. März ist es weiterhin vor allem die ETA, die den Spaniern Sorge bereitet. REINER WANDLER

Ganz standfest in Bagdad

Es ist Ramadan, die Nächte sind lang, und der ehemalige Innenminster würde gerne das tun, was viele Hauptstädter nach dem abendlichen Fastenbrechen tun: Verwandte besuchen, bummeln und shoppen gehen. „Ich kann weder meine Familie besuchen, noch einkaufen gehen, weil Terroristen dort dann Bomben legen würden“, sagt er. So bleibt nur der Weg zu ihm. Wer zu Naqib will, muss einen Kordon aus Sprengschutzwänden und Betonbarrikaden überwinden, eine Kleinarmee aus Polizisten, Soldaten und privaten Wachen kontrolliert jeden Besucher. „Ich lebe hier wie ein Gefangener“, sagt Naqib.

Für Mohammed Rahim ist das Klagen auf höchstem Niveau. Er muss eine Familie ernähren und sich täglich den Gefahren von Bagdad stellen. Seit knapp acht Jahren fährt Rahim Taxi. Fünfunddreißig Mal schon habe er am helllichten Tag einen Mord mit ansehen müssen. Wie viele Bombenanschläge er nur knapp überlebt hat, weiß er nicht mehr. Von mehreren hundert ist die Zahl der Anschläge in Bagdad auf einige Dutzend pro Monat gesunken. Noch immer sind es mehr als in jedem anderen Land. Die Iraker zeigen im Angesicht des Terrors eine enorme Standfestigkeit. In den Ramadannächten sind die Straßencafés bis auf den letzten Platz besetzt. „Im Gegensatz zu den Politikern können wir uns ja nicht in unseren Häusern einschließen“, sagt Rahim. Um Mitternacht endet das Ramadan-Treiben in Bagdad. Die Ausgangssperre beginnt, wer jetzt noch unterwegs ist, riskiert, von der Polizei erschossen zu werden. INGA ROGG