Aber sicher doch

Darf man nach den Bombenfunden in Köln und Koblenz weiter mit der Regionalbahn fahren? Ja, denn ohne einen Vertrauensvorschuss in die Zukunft ist ein glückliches Leben nicht möglich

VON JAN FEDDERSEN

Freiheit und Sicherheit sind als Pole gesellschaftlichen Empfindens zwingend verknüpft. Absolute Freiheit mündete in Anarchie – also in einem System, in dem nur informell gestiftete Macht gilt: die des physisch Stärkeren. Vollständige Sicherheit ist nur denkbar als ein System, das mit der Chiffre 1984 am ehesten zu beschreiben ist – als totalitärer Wahn gegenseitiger Kontrolle. Irgendwo zwischen diesen Polen sind Atmosphären in liberalen Gesellschaften stets angesiedelt.

Galten Überwachungskameras vor zehn Jahren noch als Vorhut totalitären Schreckens, sind sie inzwischen weithin anerkannt. Videoanlagen, die öffentliche Knoten beobachten, werden so lange als statthaft akzeptiert, wie sie bei der Abwehr von Gefahren behilflich sind – etwa um Bombenbauer aus Kiel ausfindig zu machen, die Koffer auf dem Kölner Hauptbahnhof deponieren.

In puncto Sicherheit nicht akzeptiert würde, heutzutage, ein Scanning mit moralischem Blick. Küssende Menschen, Figuren, die exaltierte Dinge tun, solche, die in manchen Augen als unangenehm wahrgenommen werden, sind kein Gegenstand polizeilichen Interesses – und dies muss als Erfolg der Säkularisation der Bundesrepublik genommen werden: Erlaubt ist, was niemand zu Schaden kommen lässt. Männer, die miteinander schmusen, sind keinen Verdacht wert, ebenso Menschen, die nahe dem Schloss Bellevue, wo der Bundespräsident seinen Amtssitz hat, grillen oder Ball spielen.

Dass die Wertschätzung von Sicherheit in den vergangenen Jahren zugenommen hat, jedenfalls stärker als die der Freiheit, welche es seit Ende der Sechzigerjahre zu erweitern galt, liegt konservativerseits am Gefühl, der modernen Welt nicht mehr gewachsen zu sein, seitens des linken und liberalen Spektrums aber am Unbehagen, von Gefahren umgeben zu sein. Die einen wähnen sich von einer Welt bedroht, die nicht die ihre ist – Stichworte: Multikulti, Globalisierung, Europäisierung –, die anderen fürchten anders um ihr Leben, sei es durch Lebensmittel, die braune Gefahr oder das Klima. Allesamt leiden sie, um einen Kommentar der New York Times aufzugreifen, am „German Angst Syndrome“.

Angstphantasmen

Hätte die Bundesrepublik sich seit Jahren wie Israel steten Einschlags von Katjuscha-Raketen zu erwehren, lebten wir gewiss in einem inzwischen bürgerkriegshysterisierten Land. Auffällig aber, dass alle Angstphantasmen von BSE bis Vogelgrippe sich mit der Zeit verläppert haben. So wird auch in Zukunft niemand auf die Fahrt mit einem Regionalzug der Bahn verzichten, nur weil in einem solchen jüngst ein Terrorschlag hätte stattfinden können. Dass auf Flughäfen seit dem 11. September 2001 eine stärkere Sicherheitskontrolle hingenommen wird, liegt erstens am kollektiven Wunsch, nicht Teil einer Entführung zu werden, andererseits wohl zugleich an der keineswegs überbordend zeitraubenden Art der Kontrolle. In Eisenbahnzügen, auf Bahnhöfen sind derlei Kontrollen nicht denkbar – und jedeR weiß dies auch.

Gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert nur durch einen massiven Vertrauensvorschuss auf das, was kommt: Dass es schon gut gehen wird. Ein ins Unbewusste eingesickertes Fühlen, das sich aus Erfahrung speist: Allermeist passiert ja auch nix. Weder in Regionalzügen noch im Supermarkt. Auf produktive Weise müssen letztendlich alle, die Gleichmütigen wie Aufgeregten, resignieren: Die Welt ist schön, auch wenn man nicht all ihre Fährnisse im Griff haben kann. Man vertraut auf das, was einst Schicksal genannt wurde, den Rest überlässt man den Sicherheitsbehörden.

Wahrhaft entspannt

Am hübschesten war an diesem Wochenende vielleicht nur jenes Statement, überliefert vom Leiter des Kollegs, das der mutmaßliche Attentäter in Kiel besucht hat. Der sei nur unterdurchschnittlich intelligent gewesen, denn hätte er im Unterricht gut aufgepasst, wäre die Bombe auch wirklich hochgegangen. Das darf als wahrhaft entspannte Haltung zu den Dingen einer komplizierten Welt genommen werden: Erst den dicken Max markieren, und dann nur ein Idiot sein.