Angst vor Eskalation

AUS TYROS MARKUS BICKEL

Israelische Soldaten haben am Wochenende erneut die seit vergangenem Montag geltende Waffenruhe mit dem Libanon gebrochen. Nachdem bereits am Dienstag mindestens drei Hisbollah-Mitglieder durch israelischen Beschuss ums Leben kamen, drangen in der Nacht zum Samstag israelische Einheiten in den Norden des Libanon vor. Bei Kämpfen mit Hisbollah-Angehörigen rund 25 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt kamen nach israelischen Angaben drei Hizbollah-Kämpfer und ein israelischer Offizier ums Leben, zwei weitere wurden verletzt.

Libanons Premierminister Fuad Siniora bezeichnete die israelische Kommandoaktion nahe des Orts Budai in der im Osten an Syrien grenzenden Bekaa-Ebene als „schamlosen Bruch“ des Waffenstillstands. UN-Generalsekretär Kofi Annan zeigte sich „tief beunruhigt“. Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert verteidigte die Kommandoaktion im Gespräch mit Annan. Ziel des Einsatzes sei es gewesen, die Waffenlieferungen an die Hisbollah zu verhindern.

Der libanesische Verteidigungsminister Elias Murr warnte am Sonntag vor einem neuerlichen Aufflammen der Gewalt, die vor einer Woche nach 34 Tagen ein vorläufiges Ende gefunden hatte. Möglicherweise versuche Israel, Vergeltungseinsätze zu provozieren, so der Minister. Zugleich drohte Murr, wer auf libanesischer Seite die Waffenruhe breche und Israel damit einen Vorwand für Angriffe liefere, werde als Verräter betrachtet und bestraft. „Israel profitiert von jeder vom Libanon auf Israel abgeschossenen Rakete“, sagte er in offensichtlicher Warnung an Einheiten der Hisbollah, die immer noch über rund 10.000 Katjuscha-Raketen verfügen dürften.

Angehörige der Hisbollah setzten derweil vor allem in südlibanesischen Orten und Gemeinden ihre Trauerfeiern fort. Überall fanden Beerdigungen statt, die zu politischen Machtdemonstrationen genutzt wurden. In Kana, wo am Sonntag vor drei Wochen 28 Menschen bei einem israelischen Luftangriff getötet wurden, machte der höchste Hisbollah-Repräsentant im Südlibanon, Sheikh Nabil Kaouk, vor 5.000 Trauernden die neue Taktik der mit zwei Ministern in der libanesischen Regierung vertretenen Partei deutlich: „Wie in der Vergangenheit ist die Hisbollah auch jetzt militärisch nicht sichtbar vertreten.“ Die Partei werde der libanesischen Armee „mit unserer Erfahrung helfen, in die strategisch wichtigsten Gebiete vorzudringen, um das Land so gut wie möglich vor israelischen und US-Angriffen zu schützen.“

Gut eine Woche nach dem Beginn des Waffenstillstandes zwischen Israel und dem Libanon gibt die Hisbollah im Südlibanon sowohl beim Wiederaufbau wie bei der Zusammenarbeit mit den Regierungstruppen den Ton an. So räumte Informationsminister Ghazi Aridi schon vorige Woche ein, dass es „keine Konfrontation zwischen der Armee und den Brüdern von der Hisbollah geben“ werde. Die am Donnerstag Richtung israelisch-libanesischer Grenze vorgerückten, bislang rund 4.500 Mann starken libanesischen Einheiten würden die Milizen weder „jagen, noch, Gott verhüte, Rache ausüben“.

Insgesamt soll die libanesische Armee in den kommenden Tagen auf 15.000 Mann aufgestockt werden und die Grenze mit Israel absichern. Unterstützt werden sollen sie von ebenso vielen Soldaten der UN-Übergangsstreitkräfte für den Libanon (Unifil), die zurzeit mit 2.000 Mann im Grenzgebiet zu Israel stationiert sind. Am Samstag trafen die ersten 50 von etwa 200 französischen Unifil-Soldaten im Hauptquartier der Truppe in Nakura ein. Bis Anfang September soll die Unifil um 3.500 Mann verstärkt werden, bis Anfang November die Sollstärke von insgesamt 15.000 erreicht sein.