Insel der Vollversammlungen

Das selbstverwaltete Wohnprojekt Schröderstift funktioniert nach 25 Jahren noch immer basisdemokratisch. Auch wenn das nicht immer einfach ist, die Bewohner hängen an ihrem Haus

von PHILIPP RATFISCH

Auf sechs Spuren brausen die Autokolonnen die Schröderstiftstraße hinunter – eine der meistbefahrenen Straßen Hamburgs. Unkundige Besucher ahnen wohl nicht, was sich hinter der lang gestreckten Dornenhecke kurz vor dem U-Bahnhof Schlump versteckt: die alten Gebäude des Schröderstifts, die von den Bewohnern selbst verwaltet werden – seit mittlerweile 25 Jahren.

Verwunschen sieht es aus in dem Innenhof der hufeisenförmig angelegten Bauten. Im riesigen Garten hinter den Häusern ragt ein großes Indianertipi in den Himmel. Irgendwo dazwischen spielen Kinder, deren lange Haare ein wenig an Bilder aus den Siebzigern erinnern. Wie eine verlorene Welt wirkt diese Landschaft vor dem grau aufragenden Turm des Geomatikums.

„Eine Insel ist das hier, eine Oase mitten in der Stadt“, begeistert sich Olli. Der 25-Jährige lebt seit „drei oder vier Jahren“ im Schröderstift. Und wenn er von „Oase“ spricht, meint er wohl nicht nur das idyllische Grün rundherum, sondern auch die Selbstverwaltung der rund einhundert Mieter. „Ich finde es respektabel, dass es hier immer noch eine Basisdemokratie gibt“, erklärt der Veranstaltungstechniker. „Nach 25 Jahren!“ Denn nach wie vor stimmen die Bewohner auf gemeinsamen Treffen über alle anstehenden Fragen ab – was manchmal recht anstrengend sein kann.

„Es gab Zeiten, da habe ich die Vollversammlungen als sehr chaotisch, sehr unzielgerichtet empfunden“, erzählt Tobias Röcken. Der Marktforscher ist seit 18 Jahren Bewohner im Stift. „Aber das ist in den letzten Jahren sehr viel besser geworden“, versichert er. Peter Vogt, seit 24 Jahren dabei, zeichnet ein anderes Bild. „Wenn eine Gruppe etwas durchsetzen will, guckt sie, dass ihre Leute zur Vollversammlung kommen. Eine Woche später ist dann eine andere Gruppe da und beschließt das Gegenteil“, sagt der 47-Jährige. Auf der Homepage eines ehemaligen Mieters ist gar von einer „Psychoterrorveranstaltung“ die Rede.

Olli sieht das ganz anders. Ihm machen die Treffen Spaß. „Man muss so ein bisschen für seine Interessen einstehen, ein bisschen kämpfen. Das ist voll gelebte Demokratie.“

Die freilich nicht von selbst entstanden ist. In den 70er Jahren plante die SAGA, die Gebäude abzureißen. Zu marode seien sie, eine Sanierung zu teuer. Die Mieter – zu jener Zeit noch ausschließlich Studierende – glaubten der SAGA jedoch nicht und schlossen sich zur „Mieterinitiative Schröderstift“ zusammen, um den Abriss „ihrer“ Häuser zu verhindern. Sie gaben ein Gegengutachten in Auftrag, das die Kosten einer Sanierung sehr viel niedriger veranschlagte.

Während die hamburgische Entscheidungsfindung noch in vollem Gange war, schufen die Mieter Fakten, indem sie auf eigene Faust mit der Instandsetzung begannen. Schließlich, nach langem Streit mit Demos und Pressekonferenzen, entschieden Senat und Bürgerschaft 1981, den Bewohnern das Stift für fünf Jahre zu leihen. Und bewilligten eine Zuwendung an die Initiative von 869.000 Euro, um die Gebäude zu sanieren. Später wurde die Abmachung dann verlängert, derzeit läuft ein Zehnjahresvertrag.

Trotz der Streitereien unter den Bewohnern: Einig sind sich alle über die schöne Anlage und die gute Gemeinschaft im Stift. „Man unterstützt sich, passt so ein bisschen aufeinander auf“, beschreibt Peter Vogt. Eine große Familie seien sie dennoch nicht, so Tobias Röcken. „Hier sind lauter nette Nachbarn, die ganz autark ihre Sachen machen. Wir sind keine Kommune.“ Auch wenn das auf den ersten Blick so scheint.

Am 25. und 26. August feiert der Schröderstift sein großes Jubiläumsfest