berliner szenen Galerie der Kandidaten

Plakative Horrorschau

Auf dem Helmholtzplatz hat jemand eine Tüte Wahlberechtigter ausgeschüttet. Die liegen in der Gegend rum und scheren sich nicht um die bevorstehende Abstimmung. Der Bürgermeister guckt von seiner Laterne herunter, mitten hinein in eine schwarze, nein: orange Zukunft. Die übrigen Kandidaten leiden nicht weniger: „Guck mal zuversichtlich!“, scheint der Fotograf gesagt zu haben. „Aber nicht die Zähne zeigen, das wirkt aggressiv.“ Ein SPD-Kollege hat sich wohl mit seinem Optiker verkracht, und die Visagistin konnte ihn offensichtlich auch nicht leiden – sein Mund schimmert lila. Die Grünen werben dieses Jahr mit Schnappschüssen, und die FDP hat damals 1948 bei der Wahl ihrer Parteifarbe nicht über die psychologische Wirkung von Farbfotografien nachgedacht.

Was sie wählen wird, will ich von Franzi wissen. Sie zuckt mit den Schultern und macht eine unbestimmte Handbewegung. „Irgendjemanden, der hier so rumhängt“, murmelt sie träge, „Sehen ja alle aus wie Verbrecher.“ Ich nicke apathisch, durchforste gelangweilt das Portemonnaie meiner Freundin und finde ein Foto in vierfacher Ausführung. Der abgebildete Mensch zeigt alle physiognomischen Merkmale eines mehrfachen Kinderschänders mit einschlägiger Drogenerfahrung: gelb die Haut, schwarze Augenränder, rote Augen, der Mund verweigert verkniffen die Aussage. „Was ist das denn?“, huste ich entsetzt. Franzi rollt zu mir herüber und nimmt mir die Bilder weg: „Das sind die biometrischen Fotos für meinen Pass“, zischt sie. Ich schaue sie prüfend an: „Du glaubst doch nicht, dass du damit über irgendeine Grenze kommst?“ Sie hält die Bilder gegen das Licht. „Wieso? Andere Leute kommen mit sowas sogar auf Wahlplakate.“ LEA STREISAND