„Videokameras sind kein Allheilmittel“

Mehr Überwachung bedeutet nicht zwangsläufig mehr Sicherheit, meint der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar. Eine gemeinsame Index-Datei von Polizei und Geheimdiensten sei aber rechtlich längst möglich – und auch sinnvoll

taz: Herr Schaar, in Großbritannien überwachen schon heute hunderttausende Videokameras den öffentlichen Raum. Dient das dem Schutz vor dem Terror?

Peter Schaar: Videoüberwachung ist keine Allheilmittel. Das englische Vorbild macht deutlich, dass selbst eine flächendeckende Videoüberwachung Anschläge nicht verhindern kann. Sie hilft nur, Straftäter nachträglich zu identifizieren. Videoüberwachung bedeutet auch nicht, dass jemandem, der Hilfe braucht, schnell geholfen wird. Außerdem wäre eine flächendeckende, gefährdungsunabhängige Überwachung bei uns verfassungsrechtlich gar nicht möglich.

Sollte der Bund die Videoüberwachung bundeseinheitlich regeln?

Das geht schon deshalb nicht, weil die Regelung von Polizeiangelegenheiten in die Gesetzgebung der Länder fällt.

Müssen die Sicherheitsbehörden nicht grundsätzlich mehr überwachen, um Terrorgefahren rechtzeitig zu erkennen?

Mehr Überwachung bedeutet nicht automatisch mehr Sicherheit. Bei der jetzigen Debatte stehen die technischen Mittel und Möglichkeiten zu sehr im Mittelpunkt. Entscheidende Fragen werden dabei vernachlässigt. Sind die vorgeschlagenen Maßnahmen überhaupt geeignet, das Ziel zu erreichen? Sind sie verhältnismäßig? Denn wenn es für Eingriffsbefugnisse keine zwingende Begründung gibt, dann besteht die Gefahr, gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu verstoßen. Solche Befugnisse würden vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden.

Was sind die nach ihrer Ansicht relevanten Fragen?

Anstatt über flächendeckende Videoüberwachung zu diskutiern sollten wir uns eher fragen: Was sind die Ursachen von Terrorismus? Welche Maßnahmen eignen sich, um die Sicherheit tatsächlich zu erhöhen? Das Forschen nach Ursachen ist sehr viel schwieriger, als die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden zu erweitern. Das Wissen um Ursachen würde uns aber eher helfen, die Probleme zu lösen.

Auch die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes sollen erweitert werden.

Die Erweiterung der Inlandsbefugnisse des Bundesnachrichtendienstes ist sehr fragwürdig. Ich sehe auch nicht, dass dies dazu beitragen würde, solche Terroranschläge zu verhindern.

Stichwort Terrordatei: Wird es nicht endlich Zeit, dass auch die Polizei erfährt, über welche Terrorverdächtigen die Geheimdienste Informationen haben?

Eine bundesweit für alle Sicherheitsbehörden verfügbare Volltextdatei wäre verfassungsrechtlich gar nicht zu machen. Gleiches gilt, wenn darin sehr umfangreiche Daten über Kontakt- und Begleitpersonen von Verdächtigen gespeichert würden. Eine verfassungskonforme Index-Datei dürfte nur Grunddaten und Hinweise darüber enthalten, bei welcher Behörde weitere Informationen vorliegen. Sie wäre schon seit längerem möglich. Die Debatte ist aber paradox: dadurch dass immer wieder nach einer Antiterror-Volltextdatei gerufen wird, ist die Einführung einer Indexdatei bis heute nicht in trockenen Tüchern. Diejenigen, die am intensivsten nach der Einführung einer Antiterror-Volltextdatei rufen, sind dafür verantwortlich, dass es die legale Indexdatei nicht schon längst gibt.

Es gibt aber Bedenken, dass eine Indexdatei, die nur Aktenzeichen anderer Behörden enthält, schnelle Ermittlungen behindern könnte.

Die Indexdatei macht es nötig, mit der Behörde Kontakt aufzunehmen, von der die Information stammt und die Information zu verifzieren. Das kann schnell auf elektronischem Weg geschehen. Auf der anderen Seite birgt eine Volltextdatei das Risiko, Ermittlungen auf der Grundlage falscher Informationen zu führen, weil man sich auf die Angaben verläßt. Das kann nicht im Sinn der Polizei sein

Wieso sollten sich die Behörden den Zugriff auf Informationen aber gegenseitig erschweren? Das nützt doch nur den Terroristen.

Hier geht es um eine Grundlage unseres Rechtsstaates. Das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten darf nicht aus scheinbar pragmatischen Gründen aufgehoben werden. Die Trennung soll sicherstellen, dass staatliches Handeln, das in die Rechte der Bürger eingreift, grundsätzlich gerichtlich überprüft werden kann. Eine Volltext-Antiterrordatei würde einen Informationsverbund zwischen Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdiensten schaffen, der das Trennungsgebot unterläuft.

INTERVIEW: TARIK AHMIA