LESERINNENBRIEF

Stark verengte Sicht

■ betr.: „Ein kaputtes Land“, taz nord vom 1. 9. 2010

Die berechtigte Debatte um ein sauberes Wahlrecht in Schleswig-Holstein rutscht ins Absurde ab. Da wird behauptet, dass eine Mehrheit der Sitze trotz Minderheit der Wählerstimmen grundsätzlich undemokratisch ist. Haben etwa Länder mit reiner Direktwahl regelmäßig Regierungen ohne demokratische Grundlage? Es gibt dort immerhin das Argument, dass ein Mehrheitswahlrecht der Parteienzersplitterung vorbeugt und damit die Demokratie stabilisiert.

In Wirklichkeit wird auch bei unserem Verhältniswahlrecht fast keine Regierung durch die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung gewählt. Erstens dürfen Ausländer mit festen Wohnsitz bei uns nicht mitstimmen. Das wird in der Diskussion völlig ignoriert, ist aber vom Prinzip her nicht selbstverständlich. In der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung steht etwas anderes: Keine Steuerpflicht ohne Wahlrecht! Die es schrieben, waren immerhin die Erfinder der modernen Demokratie.

Zweitens gehen nicht einmal die Wahlberechtigten alle zur Wahl. Deshalb wird fast jede Landes- und Bundesregierung nur von einer Minderheit gewählt. Die einzige demokratisch legitimierte Regierung wäre demnach – eine große Koalition. Zu Ende gedacht, zeigt also vieles, was gesagt wird, eine stark verengte Sicht, eher bestimmt von taktischen Überlegungen als von edlen demokratischen Impulsen. WERNER HAJEK, Heide