Schläferzahl frei erfunden

In vielen Medien kursiert die Zahl von angeblich 1.300 potenziellen Terroristen in NRW. Das Innenministerium und der Verfassungsschutz halten diese Zahl allerdings für „kompletten Unfug“

von NATALIE WIESMANN

1.300 potenzielle Kofferbombenleger sollen in Nordrhein-Westfalen leben, kolportieren die Medien seit Tagen. Doch nur weil etwas ständig wiederholt wird, wird es dadurch nicht wahrer: Der Verfassungsschutz des Landes, auf den sich die Medien berufen, fühlt sich für diese Zahlen nicht verantwortlich.

„Das ist kompletter Unfug“ , sagt Dagmar Pelzer, Sprecherin des NRW-Innenministeriums. Der Verfassungsschutz, der ihrem Ministerium unterstellt ist, habe niemals Zahlen zu möglichen Terroristen herausgegeben. Sie vermutet, dass irgendein Journalist die Mitgliederzahl von islamischen Organisationen zusammengezählt habe, die im Verfassungsschutzbericht unter „gewaltbefürwortend“ aufgeführt seien.

Zu dieser Kategorie zählt auch die anti-israelische Organisation Hizb ut-Tahrir („Partei der Befreiung“), zu der der in Kiel verhaftete mutmaßliche Kofferbombenleger Verbindungen gehabt haben soll. „Nur weil jemand einer gewaltbefürwortenden Gruppe angehört, ist er noch kein Bombenleger“, stellt Pelzer klar. Organisationen wie die radikal-islamische Hisbollah stünden nicht unter Verdacht, in Deutschland terroristisch zu agieren: „Die sehen Deutschland als Ruhe- und Rückzugsraum.“

Dabei übt die mediale Panikmache bereits Einfluss auf die Politik aus: CDU-Innenexperte Peter Biesenbach nahm in der Aktuellen Stunde des WDR kolportierte Terrorszenarien zum Anlass für neue Planspiele. Um Terroristen aufzuspüren, müsse man prüfen, mehr Migranten als V-Männer in islamische Kreise einzuschleusen.

Hartwig Möller, Chef des NRW-Verfassungsschutzes, hält die Moscheen für keine ergiebige Quelle: „Anschlagspläne werden in Hinterzimmern besprochen.“ In den Moscheen seien auch kaum noch so genannte Hassprediger anzutreffen: „Die Prediger haben gemerkt, dass ihnen die Ausweisung droht“, so Möller. Ob und wie viele verdeckte Beobachter mit islamischem Hintergrund der Verfassungsschutz bereits heute einsetzt, will das Innenministerium nichts sagen. „Aus strategischen Gründen“.