„Ich kenne das deutsche Gespenst“

Der Schauspieler Serdar Somunçu gibt noch einmal den Hitler und kommt mit seinem Programm „Hitler Kebab – Getrennte Rechnungen“ in den Norden. Ein Gespräch über die Beleidigung von Landsleuten, rassistische Opas und das Fieber, das der Name „Hitler“ immer noch entfacht

Interview: Andrea Mertes

taz: Herr Somunçu, kennen Sie immer noch das Kribbeln im Nacken, die angespannte Aufregung, wenn Sie den Namen „Hitler“ hören?

Serdar Somunçu: Nein, aber das kannte ich auch früher nicht. Meine Haltung zu Hitler ist die gleiche wie zu jeder anderen Rolle auch. Wenn ich von der Bühne gehe, wird die Marionette wieder in den Kasten gelegt, und das war‘s.

Sie behaupten aber, dass die meisten Deutschen dieses Gefühl kennen. Eine Angst, gepaart mit Nervenkitzel, ein fiebriges Warten, bis das Wort endlich fällt.

Die Zuschauer haben tatsächlich diesen Nervenkitzel. Leider. Dieser Respekt, den Hitler dadurch bekommt, den verdienen seine Opfer. Es ist noch eine Menge Arbeit zu leisten, um das zu ändern, eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Thema. Nehmen Sie zum Beispiel die Debatten um die letzte Weltmeisterschaft. Hinter dem Gerede über Fahnen und Nationalhymne steckte soviel Unsicherheit, da sind wir keinen Schritt weitergekommen. Ich finde eher, es ist einen Schritt zurückgegangen.

Aber gerade für diese WM wurde Deutschland doch gelobt, etwa für den entspannten Umgang mit ausländischen Besuchern.

Das habe ich von Anfang an nicht geglaubt. Weil ich das deutsche Gespenst kenne. Und in der Tat: Nach dem WM-Aus haben sich viele extrem italienfeindlich verhalten. Ich habe manchmal das Gefühl, die Deutschen spielen nicht, um zu gewinnen, sondern um zu besiegen.

Einem amerikanischen Journalisten haben Sie empfohlen, das Wort „Hitler“ laut auszusprechen, als er auf dem Kölner Hauptbahnhof stand. Er hat sich dann nicht getraut.

Weil er Angst hatte, etwas falsch zu machen. Dieses Gefühl ist gekoppelt mit der Angst, entdeckt zu werden bei etwas, das man nicht denken darf. Es gibt ja diese angeblichen Denkverbote über den Nationalsozialismus, über Hitler, wie sie von Rechtsextremen kritisiert werden, die sich dann zu Verfechtern einer nicht existenten Demokratie aufschwingen.

Warum sollte der Kollege von solchen Gefühlen betroffen sein? Er ist kein Deutscher.

Weil er Deutsche um sich herum wusste. Wenn Sie in der Straßenbahn stecken und laut Hitler rufen, werden das auch die Leute um sie herum unangenehm finden. Und deshalb ist auch eine satirische Auseinandersetzung mit Hitler sehr heikel. Man hat es bei Beninis Film „Das Leben ist schön“ gesehen, der auch dieses Tabu berührt hat. Die Zuschauer verwechseln das Lachen über Hitler mit dem Lachen über die Opfer. Dieses Tabu aufzulösen und auf eine andere Art mit dem Thema umzugehen, das ist immer mein Ziel gewesen.

Aus diesem Grund haben Sie jahrelang aus Hitlers „Mein Kampf“ gelesen, später aus Goebbels „Sportpalastrede“. Ihr aktuelles Programm heißt „Hitler Kebab“. Den Typus Nazi umschreiben Sie dabei immer als eine Art Steinzeitmensch mit Artikulationsschwierigkeiten. Wozu die Verharmlosung?

Ich will nicht verharmlosen. Es geht mir darum, Nazi-Ideologie nicht zu überhöhen – ein idiotisches staatliches Verbot des Buches „Mein Kampf“ tut das. Die Denkstrukturen der Nazis sind nicht so ausgefeilt, wie die Leute glauben. Man sieht es an der parlamentarischen Arbeit, an der die Nazis schnell scheitern. Es sind andere Dinge, die mich aufregen. Wie die Nazi-Ideologie in den Köpfen verankert ist. Während der WM habe ich erlebt, wie Freunde von mir in der Wir-Form über Deutschland gesprochen haben, da ist mir die Kotze hochgekommen. Angela Merkel sitzt im Olympiastadion dort, wo Hitler gesessen hat. Der Vater eines Freundes will nicht in mein Auto steigen, weil es einem Türken gehört. Besoffene Opas in Bierzelten, die von Kanaken reden. Darüber kann ich nur lachen. Ich lache mit verärgertem Unterton. Es macht mich aggressiv, wenn 30 Nazis in meine Vorstellung kommen, die „Deutschland“ nicht mal buchstabieren können. Ich sehe keinen Grund, stolz zu sein auf etwas, das man nicht besser kann als jemand anderes.

In „Hitler Kebab“ geht es nicht mehr primär um Hitler. Erstmals beschäftigen Sie sich auch mit Ihrer Migrationsgeschichte.

Das liegt daran, dass ich ein sehr kritisches Verhältnis habe zu künstlerischen Arbeiten an der Grenze der Selbstkolportage. Ich wollte mich selbst nie zum Underdog machen, um Witze zu erheischen. In „Hitler Kebab“ gehe ich sehr aggressiv mit türkischen und deutschen Zuschauern um. Ich will wissen, ob meine Landsleute in der Lage sind, das zu ertragen.

Sind sie‘s?

Jetzt bekomme ich immer noch Drohbriefe, nur diesmal von Türken. Daran sieht man, dass Leute, die Toleranz fordern, selbst sehr intolerant sein können.

Sie provozieren gern. Keine Angst davor, dass die Sache Ihnen entgleiten könnte?

Es stärkt meinen Widerstand wenn ich sehe, dass Leute mich hindern wollen. Man hat diverse Ängste, wenn man auf der Bühne steht, aber man lernt, damit umzugehen. Für mich gehört dazu auch der Umgang mit Nazis. Manchmal gehe ich ein hohes Risiko ein, weil ich auch an Orten spiele, wo mein Humor nicht verstanden wird.

Bei einem Auftritt in Ostdeutschland haben Sie eine schusssichere Weste getragen.

Das war in Potsdam, meine 1000. Vorstellung, am 30. Januar, Tag der Machtergreifung. Was ich damals nicht wusste: Die Nazis nutzen gerne historische Daten. Es gab damals einen Drohbrief, die Polizei hat erhöhte Sicherheitsmaßnahmen beschlossen. Die Weste hab ich dann später ausgezogen, weil ich dachte „die können mir ja auch in den Kopf schießen.“ Das war nicht mutig. Mir war einfach heiß.

Sie gehen ein hohes Risiko ein.

Ich verlange Humor. Ich will herausfinden, wo die Zuschauer ihre Grenzen haben. Nur dadurch kann ich Denkfreiheiten finden. Es geht es mir auch nicht darum, dass die Leute lachen. Es geht mir darum, dass sie sauer sind und fragen „Warum macht der das?“ Deshalb sind 80 bis 90 Prozent meines Programms Improvisation, jeder Abend ist anders. Texte müssen authentisch sein. Damit gehe ich auch das Risiko ein, etwas Falsches zu sagen. Gerade bei Hitler und Mohammed ist das Risiko, Tabus zu berühren, groß.

Sie sind der Türke, der Hitler liest. Die Rolle Ihres Lebens?

Nö. Diese Phrase ist von den Leuten gemacht denen das Wort „Hitler“ viel bedeutet. Mir bedeutet die Rolle des Juden im „Kaufmann von Venedig“ genauso viel.

Wie steht‘s mit Ihrer Befürchtung, den Hitler nie mehr loszuwerden? Legen Sie nach 2006 ein Jahr Pause ein, um ohne ihn zurückzukehren?

Die Pause hat damit zu tun, dass ich seit 22 Jahren auf Tournee und an einem Punkt angelangt bin, an dem ich mich inhaltlich regenerieren muss. Sätze, die ich sage, Dinge, die ich tue, sie wiederholen sich. Auch jede Improvisation hat irgendwann ihre Grenzen. Und ich komme auf die Bühne, um mich selbst neu zu entdecken, nicht, um bereits Gesprochenes zu wiederholen. Der Hitler ist eine andere Frage. Mittlerweile spielt ja sogar Helge Schneider Hitler. Ich weiß nicht, ob ich das dann noch brauche.

„Hitler Kebab“: 24. bis 27. August, Quatsch Comedy Club, Café Keese, Hamburg; 13. September: Polittbüro, Hamburg; 16. November: Neues Gymnasium, Oldenburg